In meinem letzten Blogbeitrag habe ich mit Anja Stolz, CMO bei der Commerzbank, über die Bedeutung von Kundenzufriedenheit und Kundenbeziehungen im Bankenwesen gesprochen. In diesem Beitrag führen wir unsere Diskussion fort und behandeln die Erfahrungen des Teams um Anja Stolz im Hinblick auf die Digitalisierung. Welche Lehren hat es daraus gezogen?
Was ist das Wichtigste, das Sie und Ihr Team durch die digitale Transformation gelernt haben?
Die Kommunikation zwischen Kunde und Unternehmen oder auch seinen Mitarbeitern, also der „Human Factor“ in der Digitalisierung, mit all seinen kulturellen, sozialen und emotionalen Facetten, ist extrem wichtig. Aber sie ist gleichzeitig auch sehr schwierig. Hier wird es immer Probleme geben, weil Menschen nicht durch Excellisten oder Klicks gesteuert werden können. Technologien und Prozesse können hingegen relativ gut kontrolliert werden, auch wenn es lange dauert, aber bei Menschen ist es eben anders. Beispielsweise scheinen manchmal die Kollegen aus Marketing und IT verschiedene Sprachen zu sprechen. Es braucht immer eine gewisse Eingewöhnungszeit, bis man sich besser verständigen kann.
Was sind Ihre besten Datenquellen? Wo besteht noch Bedarf?
Analytics ist sicherlich eine der Schlüsseltechnologien im digitalen Zeitalter. Gesammelte Daten helfen uns schließlich dabei, das Kundenverhalten zu verstehen und optimale Kundenerlebnisse zu schaffen. Dafür müssen alle Arten von kundenbezogenen Daten gesammelt und miteinander korreliert werden – angefangen zum Beispiel beim Alter des Kunden, seinem Kaufverhalten bis hin zur Onlinewerbung, die er anklickt. Die wichtigste Frage ist: Wie verhält sich der Kunde? Der Fokus liegt insbesondere darauf, durch statistische Methoden zu ermitteln, was der Kunde wie oft macht. Diese Analysen erklären aber noch nicht, wieso Kunden auf eine bestimmte Art und Weise handeln und welche Motive ihren Handlungen zugrunde liegen. Wir brauchen dazu einen neuen, ergänzenden Ansatz, um diesen einen Zusammenhang zwischen den Gründen und dem eigentlichen Verhalten herzustellen. Ich denke, das Stichwort an dieser Stelle ist „Thick Data“. Thick-Data-Methoden geben Informationen zu den sozialen, kulturellen und emotionalen Faktoren der Menschen, indem sie die Emotionen, den Hintergrund, den sozialen Kontext und die Weltansichten eines Menschen offenlegen. Diese Informationen sind wichtig, da Gefühle wie Vertrauen und Angst oder aber auch Gewohnheiten ebenfalls eine große Rolle für die Kaufentscheidung spielen.
Wie könnte das in der Praxis aussehen?
Lego ist hier ein gutes Beispiel. Lego hat zunächst Produkte aus dem Standarddenken heraus entwickelt: pink für Mädchen und blau für Jungen. Rückgänge im Verkauf waren das Ergebnis. Statt auf traditionelle Werbung zu setzen, hat das Unternehmen schließlich seine Perspektive gewechselt. Die Frage lautete nun nicht mehr „Wie können wir mehr Spielsachen verkaufen?“, sondern „Wie spielen Kinder?“. Eine groß angelegte Studie ging dieser Frage nach. Lego folgerte daraus neue zielgruppenbezogene Produktreihen. Der Erfolg gibt ihnen recht.
Um uns ein vollständiges Bild machen zu können, brauchen wir daher sowohl Big Data als auch Thick Data, da sie Erkenntnisse ganz anderen Ausmaßes liefern: Big Data bietet uns umfangreiche Datensätze, mit denen übergreifende Muster identifiziert werden können. Thick Data hingegen erfordert einen gezielten Fokus, damit personenspezifische Muster in der Tiefe betrachtet werden können. Damit große Datensätze analysiert werden können, müssen sie normalisiert, standardisiert, definiert und gebündelt werden. Das sind alles Prozesse, die dem Datensatz den Kontext, die Bedeutung und die Hintergründe entziehen. Thick Data kann Big Data unterstützen, indem genau diese Hintergründe bereitgestellt werden. Wir arbeiten intensiv daran, aber wir haben noch einen langen Weg vor uns, bis wir die Motive und den Kontext unserer Kunden wirklich verstehen können.
Inwiefern wird bei Ihnen experimentiert?
Wenn wir es mit der Kundenorientierung ernst meinen, müssen Innovationen vom Kunden her gesteuert werden. Wenn der CMO derjenige in der Organisation ist, der die Kundensicht am besten verstanden hat, dann gehört Innovation folglich auch zu seinem Aufgabenbereich. Wir experimentieren aktuell auf mehreren verschiedenen Wegen, zum Beispiel mit unserem Service Design Studio oder dem Main Incubator. Außerdem arbeiten wir mit FinTechs und mit Start-ups aus dem Finanzwesen. Das Problem ist, dass Innovation nicht nur einem Bereich im Unternehmen zugeordnet werden kann. Meine Erfahrung ist folgende: Sobald ein Unternehmensbereich eingerichtet wird, um Innovation anzutreiben, ist er bereits zum Scheitern verurteilt. Ich habe beispielsweise einen Design-Thinking-Prozess zur Marketing- und Produktentwicklung in meinem Bereich in Gang gesetzt, habe die Vorschläge testen lassen und die Ergebnisse schließlich meinem Vorstand präsentiert. Als ich den Mitgliedern zeigte, wie es funktionieren könnte, fanden sie das ziemlich interessant. So verändert sich die Welt: Innovation ist überall und dabei zählen auch die kleinen Ideen, nicht nur große disruptive Umwälzungen.
Innovation ist überall und dabei zählen auch die kleinen Ideen, nicht nur große disruptive Umwälzungen. #Digitalisierung #digitaleTransformation Click To TweetWie binden Sie Ihre Mitarbeiter an das Unternehmen?
Das ist mit Sicherheit eine der größten Herausforderungen. Menschen reagieren sehr sensibel auf Veränderungen. Das betrifft insbesondere Neuerungen, die der digitalen Transformation des Unternehmens dienen, weil sie übliche Arbeitsabläufe tief greifend verändern. Professionelles Change Management spielt daher eine entscheidende Rolle in der Digitalisierung. Wir werden nur Erfolg haben, wenn wir die erforderlichen Veränderungen als einen umfassenden Prozess für das gesamte Unternehmen begreifen und gestalten. Das beginnt nicht erst beim Mitarbeiter oder den (digitalen) Skills. Es geht um Organisationsstrukturen und Führungsstil, genauso wie um Know-how, Abläufe, mentale Kompetenzen, Denk- und Verhaltensweisen und natürlich um die gelebte Unternehmenskultur. Viele Unternehmen denken reflexiv über die Digitalisierung: Ich brauche mehr IT-Mitarbeiter oder nur junge Digital Natives. Meiner Meinung nach ist das kurzsichtig. Es wird nicht zwingend nur IT-Know-how benötigt, sondern vielmehr Mitarbeiter, die die richtigen Fragen stellen, sich in den Kunden hineinversetzen, ihrem Instinkt vertrauen und die richtigen Schlüsse ziehen. Natürlich sind auch technologisches Verständnis und Projektkompetenzen notwendig, aber es ist wichtiger, Kundenorientierung, Enthusiasmus und Motivation aufzubringen. Als Führungskräfte müssen wir außerdem unsere Digitalisierungsziele mit unseren Teams so direkt und konkret wie möglich kommunizieren und dabei helfen, Kollegen frühzeitig auf die erwarteten Veränderungen vorzubereiten. Das heißt wiederum für uns, dass auch wir bereit sein müssen, uns zu ändern und zu entwickeln.
Welchen Rat können Sie ambitionierten CMOs geben?
CMOs brauchen heutzutage sehr gute analytische Fähigkeiten, wirtschaftliches Gespür und strategisches Denken. Gleichzeitig wird taktisches Geschick benötigt, um Entscheidungen in Echtzeit zu treffen, kombiniert mit einem hohen Grad an Durchsetzungsvermögen, die Bereitschaft, sich zu ändern, und ein gesundes Maß an Belastbarkeit. Es ist eine schwierige Aufgabe, aber die Mühe lohnt sich.
Und woran sollen sich Marketingstudenten vor allem halten?
Sammelt Erfahrung in Analytics und kreativen Bereichen. Strebt nach Veränderungen und erkennt den Wert unterschiedlicher Fähigkeiten und der Zusammenarbeit. Nehmt so viel wie möglich mit – aus jedem Job, jedem Unternehmen, jeder Branche. Seid offen und lernbereit!
Die Commerzbank unterstützt mit dem Einsatz von SAS ihre Transformation zur Multikanalbank. Automatisierte Ansprachen in Echtzeit optimieren den passgenauen Dialog mit dem Kunden.