Kundennähe, Spezialisierung und Wandel: Warum beim Marketing von Banken vor allem das Nutzererlebnis zählt

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Das Banking verändert sich zunehmend. Das gilt ganz besonders für das Marketing. Anja Stolz, CMO bei der Commerzbank in Frankfurt, gibt im Interview einen Einblick in die Rolle des CMO bei diesem Transformationsprozess. Außerdem erklärt sie, wie wichtig die Customer Experience inzwischen als Marketing-Tool ist.

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Skyline Frankfurt

Frau Stolz, welche Trends werden 2018 das Marketing bestimmen?

Die Grundbedürfnisse unserer Kunden haben sich in den letzten Jahren kaum verändert. Was sich allerdings verändert hat, ist die Art und Weise, wie wir heute auf die Kundenbedürfnisse eingehen können. In unserer extrem schnelllebigen Zeit vergisst man gerne, dass der Mensch eine Konstante ist. In den USA und China ist der Kunde König. Diese Länder mischen im Marketing ganz vorne mit, weil sie den Kunden in den Mittelpunkt stellen. In diesen Regionen lernt man schnell aus Fehlern. In Deutschland sind wir teilweise noch recht weit von einer solchen radikal kundenzentrierten Sichtweise entfernt. Manchmal orientieren wir uns zu stark oder ausschließlich an den neuesten Technologien, Prozessen oder Methoden. Außerdem ist vielen Unternehmen noch nicht bewusst, dass in der Kundenansprache und dem Beziehungsaufbau künftig der eigentliche USP einer Bank liegt – neudeutsch in der „Customer Experience“. Dieser USP ist gleichzeitig der einzige, der uns im Banking geblieben ist. Denn die Produkte und Programme von Banken sind weitestgehend austauschbar. An der Schnittstelle zum Kunden entscheidet sich dann, ob wir das Rennen machen oder einer unserer Konkurrenten.

Das bedeutet also, dass wir eine umfassende Digitalisierung brauchen?

Es geht nicht darum, Unternehmen um jeden Preis zu digitalisieren. Wir brauchen in Zukunft ein hybrides Modell, das die digitale mit der analogen Welt verbindet. Dazu müssen wir unser Denken verändern. Wir brauchen eine „Humanisierung“, eine Refokussierung auf den Menschen, gerade im Digitalen. Für das Marketing ergibt sich daraus eine ganzheitliche Transformation in Richtung einer besseren Customer Experience.

Um größere Zielgruppen individuell und schnell ansprechen zu können, müssen wir unsere Kunden besser verstehen. Das erlaubt uns, sehr genaue Vorhersagen über deren Bedürfnisse machen zu können. Dabei können Daten und Automatisierung definitiv helfen. Um aber wirklich nutzen- und kontextbasiert zu arbeiten, brauchen wir einen Bezug zu den Menschen. Menschen sind gleichzeitig rational und emotional. Sie suchen nach einem tieferen Sinn in ihren Tätigkeiten. Außerdem verstehen sie sich als Teil eines größeren Zusammenhanges. Wir wollen also effektive Beziehungen zu unseren Kunden aufbauen. Diejenigen, die verstanden haben, dass das der Schlüssel ist, werden bei der Digitalisierung vorne dabei sein.

Wie läuft das in der Praxis ab?

Wichtig ist, dass Innovationen einen echten Mehrwert bieten. Das lässt sich auf zwei Arten erreichen: Entweder nutzen wir den „Human centric“- oder den „Customer Value“-Ansatz. Denn Innovationen, die den Menschen nicht voranbringen oder ihnen gar schaden können, sind nicht sinnvoll. Um Innovationen vorantreiben zu können, müssen wir manchmal auch einen Schritt zurückmachen. Solange das keinen Widerspruch in sich darstellt, kann ein Rückschritt sogar Mehrwert generieren. Außerdem ist es erfolgskritisch, die richtigen Fragen zu stellen. Beispiele dafür sind: „Was braucht eine bestimmte Person gerade?“, „Was benötigen unsere Kunden heute oder in Zukunft?“, „Was treibt unsere Kunden an?“, „Wo könnten Hürden entstehen?“ und „Was bringt uns unserem Ziel tatsächlich näher?“. Diese Fragen gilt es, in einen Kontext einzuordnen und ihren tieferen Sinn zu verstehen. Technologien müssen wir entsprechend innovativ einsetzen, um ein (Produkt-)Erlebnis zu kreieren, das unsere Kunden emotional anspricht. Im gleichen Schritt müssen wir die Frage beantworten, warum der Kunde sich genau für unsere Marke entscheiden sollte.

Wie verändert sich Ihrer Meinung nach die Customer Experience in der Bankbranche?

Der umfassende Kundenfokus verändert Business-Modelle teilweise radikal. Das wird momentan sehr deutlich und gilt zunehmend auch in der Bankbranche. Erfolg wird nur derjenige haben, der die Bedürfnisse seiner Kunden kennt und erfüllt. Das bedeutet auch, dass CMOs mehr und mehr zu „Kundenkennern“ werden. Damit nehmen sie eine Schlüsselrolle im Veränderungs- und Innovationsprozess ein. Man könnte CMOs auch in vielerlei Hinsicht als Chief Client Officers sehen. Sie sind die Verbindung zwischen Unternehmen und Kunden und gleichzeitig Innovationstreiber, Analysten und Macher: Inzwischen reicht es nicht mehr, DIE EINE große kreative Idee hervorzubringen. Wichtig sind vielmehr tiefes Kundenverständnis, gute Zusammenarbeit und Orchestrierung von Maßnahmen. Marketing ist ein Teamsport, bei dem es darum geht, verschiedene Fähigkeiten, Talente und Typen einzusetzen. Die Digitalisierung ermöglicht es uns, unser Wissen über den Kunden systematisch zu nutzen und so zum Beispiel das Marketing-Budget effizienter einzusetzen. Seit Big Data, künstliche Intelligenz, Automatisierungsmöglichkeiten und Marktanalysen dabei eine Rolle spielen, können CMOs das nicht länger ohne komplexe IT-Infrastrukturen managen. Technologie und Analytics dürfen gleichzeitig aber nicht zulasten kreativer Kundenansprache oder Customer Experience gehen. Deshalb benötigen wir ein umfassendes Verständnis für das (digitale) Ökosystem, in dem sich unsere Kunden befinden: in kultureller, emotionaler und sozialer Hinsicht. Dazu braucht es Erfahrung und Augenmaß. Die Bankbranche hat durchaus schon einiges verstanden. Dennoch gibt es sicher noch viel zu tun, um von der Produktorientierung und der Innensicht der Banken zur ganzheitlichen und vollumfänglichen Kundenorientierung zu finden.

Wie verändert sich die #CustomerExperience in der Bankbranche? Anja Stolz, CMO bei der Commerzbank im Interview. #Digitalisierung Click To Tweet

Wie würden Sie die digitale Reife von Marketing in der Bankbranche beschreiben? Damit meine ich Banking und Financial Services generell, aber auch, wie Sie die Commerzbank im Vergleich dazu sehen.

Bei der Diskussion über die digitale Transformation fehlt mir ein Aspekt, der meines Erachtens ganz wesentlich ist – auch im Bereich Financial Services. Oft scheint mir meine Hauptaufgabe als CMO zu sein, zu erklären, dass die Digitalisierung kein Selbstzweck ist. Es geht nicht darum, einen CDO zu haben. Viel wichtiger ist, was das Unternehmen für den Kunden tun kann und wie wir uns als Chief Client Officer verstehen. Konkret heißt das, dass wir in der Commerzbank selbstverständlich digitale Technologien nutzen. Wir arbeiten mit Advanced Analytics und automatisieren Prozesse, aber das Ziel ist das gleiche wie zuvor: Wir wollen so viel wie möglich über unsere Kunden erfahren, um ihnen den größtmöglichen Mehrwert bieten zu können. Wir machen einen Fehler, wenn wir nur über Technologie sprechen und den Kunden dabei aus den Augen verlieren. Ich mache mir wenig Sorgen um die technologische Seite der Transformation – meine Sorge gilt dem Blick auf die humane oder kulturelle Seite. Denn diese sind in der digitalen Transformation häufig viel komplexer und diffiziler.

Das klingt, als ob Marketing ein wichtiges Instrument für die Transformation ist, und zwar auf beiden Seiten: der Digitalisierung und der der Kundenorientierung.

Marketing ist marktorientiertes Business-Management. Im Mittelpunkt stehen Strategie, Positionierung und Entrepreneurship. Es genügt nicht, nur Marketing-Kommunikation zu machen. Marketing ist eine ganz wesentliche Triebfeder für das Business – die Konsumgüterindustrie weiß das schon lange. Aber das gilt jetzt auch für andere Branchen, die Financial Services eingeschlossen. Die meisten Unternehmen verstehen, dass sie weg von der Produkt- und hin zur Kundenorientierung müssen. Das Marketing spielt eine wichtige Rolle beim Managen der kulturellen und sozialen Seite der digitalen Transformation, da haben Sie recht. Die Rolle des CMO verändert sich zunehmend und wird immer wichtiger. CMOs werden mehr und mehr zur „Stimme des Kunden“ und müssen für den reibungslosen Ablauf von kundenorientierten Prozessen, Technologien und Teams Verantwortung übernehmen. Das Marketing ist dabei im Idealfall sowohl Strategieleader als auch Werttreiber: Es wird zunehmend wichtiger, sich im Marketing als Treiber der Wertschöpfungskette zu positionieren. In der Praxis bedeutet das für den CMO, dass er für den RoI des Unternehmens mitverantwortlich ist. Die Beziehung zwischen CMO und CIO ist übrigens besonders wichtig. Entscheidend ist jedoch Kundenzentrierung über alle Bereiche und Abteilungen.

Sie wollen damit sagen, dass Teamwork unter Führungskräften unverzichtbar ist?

Ganz genau. Nicht die Technologie treibt das Business – es sind die Unternehmensziele und der Erfolg beim Kunden. Davon ist die ganze Führungsebene betroffen. Egal, ob es um Transformation, Wachstum oder Innovation geht – im Alleingang kann das Marketing nichts davon verwirklichen.

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About Author

Ioannis Stavridis

Sr Manager Global Practice Customer Intelligence at SAS

Global Practice Customer Intelligence, Ioannis holds a Master of Software Engineering and Economics degree and has a longer than 15-year track record in the area of successful analytical CRM, Customer Intelligence and BI implementation projects. Before he joined SAS he worked for several consulting companies in a managerial position and acted as trusted advisor in several companies. Additionally his experience includes project management in Customer Intelligence, Business Intelligence and CRM projects in many of Europe’s largest international retail, telecommunication and broadcasts, banks, utilities, automotive and companies. His main focus areas are Omni-Channel and Contextual Marketing Management solutions, business case and business value development and Customer Intelligence process improvements. Throughout his career he worked in both national and international companies and gained international experience through working with multi-cultural project teams.  His experience of having been a program manager, a business advisor, and a implementation consultant helps Ioannis to act as a trusted advisor for clients as well as helping them to operationalize their Digital strategy.

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