Kürzlich habe ich mich sehr amüsiert über eine Reportage im Fernsehen: Man fragte Jugendliche, was sie mal beruflich machen wollen, und die Antworten waren „YouTube-Star“, „DJ“ und immer wieder auch „Influencer“. Letzteres ruft gerade bei der Ü30-Generation Verwunderung hervor, da man irgendwie an Grippe denkt – die Aussprache ist gleich, gerade wenn die letzte Silbe lang gezogen wird: Influen-zaaa!
Ist Ihnen was aufgefallen? Alle 3 sind keine Ausbildungsberufe. Die notwendigen Skills fallen aber auch nicht gerade vom Himmel. Und ob das nachhaltig ist? Ich bezweifle das. Bäcker gibt es schon seit Jahrhunderten (wenn auch immer weniger), aber die oben genannten „Berufe“ könnten schon sehr bald von einer künstlichen Intelligenz erledigt werden, und das vermutlich konkurrenzlos effizient. Tja, Zeitgeist …
Bleibt die Frage: Wie bereitet man sich denn heutzutage auf den Arbeitsmarkt vor? Was schreibt man in den Lebenslauf, um aus der Masse hervorzutreten und überhaupt mal zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden? Bei mir war es zum Beispiel unabdingbar, Kenntnisse in Word und Powerpoint aufzulisten. Und heute?
Wer meine Blogs verfolgt, weiß, was nun kommt: Data Science!
Warum wird das bald zwingend notwendig sein? Das Stichwort ist tatsächlich: Digitalisierung. In Unternehmen setzt sich „Self-Service“ immer mehr durch – ermöglicht durch neue Applikationen und Services, die den Mitarbeiter zwingen, äh, ich meine befähigen, alles Mögliche ohne fremde Hilfe zu erledigen. Im Job war man lange Zeit gewohnt, vielleicht mal die Kundendatenbank selbst zu pflegen, Besuchskontakte, Notizen, Mailverkehr. Benötigte man irgendwelche Berichte, dann gab es meist eine ziemlich ausgelastete Fachabteilung, die auf die Anfrage mit „klar, kriegst du in 3 Wochen“ geantwortet hat.
Mittlerweile hat sich das gewaltig geändert. Dienstreise buchen und abrechnen? Do it yourself, geht sogar per App auf dem Smart Device. Raumbuchung, Urlaubsantrag, Krankmeldung, Fortbildung, Orientierungsgespräch, Rechnungen anweisen, Kampagnen planen – puh, bleibt alles am Mitarbeiter hängen. Und auch die Erwartung, für das Tagesgeschäft relevante Daten selbst zu analysieren und in Informationen umzuwandeln. Wer will schon 3 Wochen warten?
Wasser auf die Mühlen
Kürzlich wurde der „Hochschulbildungs-Report 2020“ veröffentlicht. In dieser Studie, die vom Stifterverband in Zusammenarbeit mit McKinsey herausgegeben wird, werden gleich zu Beginn 8 Ziele für die Bildungspolitik empfohlen. Und siehe da, man trifft auf alte Bekannte: In den MINT-Fächern fehlt es hinten und vorne, Praxiswissen kommt im Studium weiterhin zu kurz, und Frauen sind im Studium zwar viel erfolgreicher als Männer, aber in der Arbeitswelt ebenso benachteiligter. Und:
DATENANALYSEKOMPETENZEN IN ALLEN DISZIPLINEN SICHERN: DATA SCIENCE AN HOCHSCHULEN AUSBAUEN
Gemessen an Vorreitern wie den USA haben sich deutsche Hochschulen bislang nur langsam auf dem Themenfeld Big Data bewegt. An der Columbia University in New York wurde beispielsweise bereits 2012 das interdisziplinäre Data-Science-Institut ins Leben gerufen, das allen Studierenden der Hochschule grundlegende Datenkenntnisse vermittelt. In Deutschland hingegen gab es Anfang 2017 lediglich 23 Studiengänge mit einer expliziten Spezialisierung auf Big Data und Advanced Analytics.
Einrichtung von Data-Science-Education-Programmen für die Bachelorstudiengänge an Hochschulen, die grundlegende Datenanalysefähigkeiten für alle Fächer vermitteln und an denen alle Studierenden teilnehmen sollten.
Gezielte Kooperationen von Hochschulen und Unternehmen bei der Vermittlung von Datenanalysekompetenzen, beispielsweise durch sogenannte Hackathons, das sind kollaborative Software- und Hardwareentwicklungsveranstaltungen.
Entschuldigung für’s Zitieren, aber das hätte von mir stammen können. Selten so aus dem Herzen gesprochen! Ich empfehle dringend meinen letzten Blog.
Es geht nämlich nicht nur darum, neue Berufsbilder wie z. B. den Data Scientist zu erschaffen. Vielmehr muss dem Umstand Rechnung getragen werden, dass Daten eine zentrale Alltagserscheinung geworden sind. Es geht um Zukunftskompetenzen. Das passiert übrigens schon ganz unbewusst im privaten Bereich. Schönen Gruß an alle, die ihren Trainingserfolg mit einem Fitnessarmband messen oder sich von der Zahnbürsten-App einen Putzplan erstellen lassen. Von FIFA 2018 ganz zu schweigen!
Da alles mehr und mehr digital wird (beziehungsweise sagt man ja momentan gerade „smart“), sollten deshalb auch die Methoden bekannt sein, wie man damit im Allgemeinen und mit Daten im Speziellen umgehen kann – soll – muss! Wer Segway fährt oder Fallschirm springt, bekommt ja auch eine Einführung – da macht gerade im letzteren Fall bestimmt auch jeder ohne großen Widerspruch mit.
Insofern sind also die Politik und die Bildungseinrichtungen gefordert, entsprechende Konzepte zu erarbeiten und umzusetzen. Powerpoint ist mittlerweile Standard im Schulunterricht, und so sollte es mit Datenanalyse auch sein. Und zwar kein hochkomplexes Deep-Learning-artificial-neuronales-Netz-ANOVA-Regressions-Mining-special-algorithms-NERD-Projekt, sondern anwendungsbezogene Alltagsmathematik. Das wäre schon mal ein Anfang.
Und solange diese Empfehlung des Stifterverbandes noch nicht in die Tat umgesetzt ist, kann heute glücklicherweise jeder selbst etwas dafür tun. Zum Beispiel mit dem Mini-MOOC von SAS! Also: nur Mut! Statistik, Analytics, Mathe an sich müssen weg von dem angestaubten Image. Das ist nichts für Sonderlinge, sondern für jedermann. Da muss sich was ändern, und was das ist, verrate ich im Blog zum Pi-Day am 14.03.
Bis dahin!
Euer Jürgen.
PS: Übrigens analysiert, äh, sorry, „checkt“ der erfolgreiche Influencer permanent seinen Score. Wie treibt er ihn nach oben? Wie kommen die Beiträge an, an wen richtet er sie, zu welchen Zeiten und Themen lohnt es sich besonders, und was war ein Flop? Welche Frequenz ist gut, und welche Faktoren beeinflussen die „credibility“? Data Science lässt grüßen und ist ganz plötzlich gar nicht mehr so trocken …