Spitzbart und misstrauische Augen, – als säße mir Lenin gegenüber. Der Vertriebskollege spricht begeistert über das Internet of Things: Von Vision, Disruption und Revolution ist die Rede. Lenin hört mit ablehnend verschränkten Armen zu.
Ich denke daran, was der Vertriebskollege im Taxi erzählt hat:
„… und er sagt: ‚Ich sehe nicht, was ein Internet-fähiger Toaster oder so etwas bringen soll.‘ Da sage ich: ‚Wenn Ihr Toaster die Luftfeuchtigkeit messen würde, die Lockerheit der Toastbrot-Krume und deren Wassergehalt, den Temperaturverlauf und den Bräunungsgrad, dann könnte jeder Toastvorgang so gesteuert werden, dass der Toast immer schön goldbraun wird und nicht haselnussbraun bis schwarz oder bleich bis blond …‘ Aber er meint nur: ‚Ich mag meinen Toast haselnussbraun.‘ Und legt auf.“
„Und“, habe ich gefragt, „wie hast Du dann den Termin bekommen?“
„Das war ja so irre: Seine Chefin hat mich zurückgerufen.“
Lenin ergreift das Wort und stellt klar, dass das Internet of Things für ihn nichts Neues ist, denn die Anlagen im Werk sind nicht erst seit gestern verkabelt, Messwerte werden im Leitstand angezeigt, und statistische Prozesskontrolle nutzen sie schon lange.
Natürlich hat der misstrauische Bolschewik recht. Was heute stattfindet, ist das Umschlagen von Quantität in Qualität. Sensoren erfassen die Zustände von Geräten und Maschinen, das ist nichts Neues; aber die Zahl der mit Sensoren ausgestatteten Geräte und Maschinen, die Menge der Sensoren, die Häufigkeit der Messungen, die Vernetzung über Standorte hinweg, die entstehenden Datenmengen, – das alles schafft eine völlig neue Situation.
„Neu? Meinetwegen, aber unsere Probleme sind die alten, nur mit mehr Daten“, kritisiert Lenin und wendet sich an den Vertriebskollegen: „Um auf Ihr Toaster-Beispiel zurückzukommen: Wir haben keinen Mangel an Messwerten über unsere Produkte und Maschinen. Trotzdem haben wir immer wieder Phasen mit erhöhtem Ausschuss, und wir wissen nicht, warum.“
Jetzt übernimmt die Kollegin mit dem Mathe-Doktor und spricht über Multikausalität und Interaktionseffekte und über Prozesse, die jeder für sich unkritisch sind und doch im Zusammenwirken zu Fehlern führen. Von Lenins Leuten steigen der grauhaarige Physiker und die Dame mit der Hornbrille ins Gespräch ein. Nach einer Weile dreht sich die Diskussion um maschinelles Lernen und die Kalibrierung künstlicher neuronaler Netze …
Später bringt uns Lenin zum Ausgang. „Recht überzeugend“, lobt er. „Ich würde das ganze Paket, das Sie anbieten, gern meiner Chefin vorstellen: Kompetenz – Projekterfahrung – Datenanalyse – Software – Unterstützung.“
Wenn es hilft, denke ich, nennen wir uns KPDSU.
Die Revolution geht weiter: Fortsetzung folgt!
2 Comments
Der Text hat meinen Morgen gerettet. Großartig.
Sehr schöner Text, hoffe auf baldige Fortsetzung.
Ps. habe den text zufällig dank linkedin Vorschlag gefunden