Um es mit Stephen Hawking zu sagen: „Intelligence is the ability to adapt to change". Das wissen vor allem auch die Digitalisierungsverantwortlichen von Versicherungen. Und wenn wir über den Einsatz von künstlicher Intelligenz in einer eher risikoaversen und sich langsam ändernden Branche nachdenken, dann gilt dieser Satz umso mehr. Denn Assekuranz-CDOs stehen vor einem Spagat: Einerseits müssen sie Digitalisierung vorantreiben, andererseits allen Governance-Anforderungen gerecht werden. Dabei kommt es in vielen Unternehmen immer wieder zu Konflikten: zwischen agilem Vorgehen im Innovationslabor und der zuverlässigen Verfügbarkeit von Prozessen im Betrieb, die gleichzeitig den Anforderungen von Regulatoren, Kunden und Management genügen.
Versicherungen auf dem Weg von „verstehen und schützen" zu „vorhersagen und verhindern"
Ganz klar: Die Versicherungswelt ändert sich gerade grundlegend. Die Rolle von Versicherungen wird sich weiterentwickeln von „verstehen und schützen" zu „vorhersagen und verhindern", wie es etwa die Geneva Association, ein führender internationaler Think Tank der Versicherungsbranche, in ihrem aktuellen Forschungsbericht „Insurance in the Digital Age" formuliert. So ändert sich einerseits die Wettbewerbsarena: Neue Geschäftsfelder entstehen, wie etwa die Versicherung von Cyberrisiken. Neue Wettbewerber wie Amazon oder Automobilhersteller mit neuen Mobilitätskonzepten greifen das Kerngeschäft in wichtigen Sparten an. Durch Vergleichsportale und Kommoditisierung geraten insbesondere die Komposit-Sparten in einen permanenten Preiskampf.
Das lange propagierte Ideal der Kundenzentrierung bekommt neuen Auftrieb. Versicherungskunden sind heute an digitale Angebote und Dienstleistungen in allen Lebensbereichen gewohnt. Daher erwarten sie auch entsprechende Leistungen von ihrer Versicherung – und zwar nicht nur hinsichtlich der Kommunikation, sondern auch bei der Schadensmeldung und -abwicklung. Produkte werden viel individueller und werden sich stärker am tatsächlichen Verhalten der Versicherten orientieren („Pay as you …"). Entsprechend individuell wollen Kunden und Interessenten auch in ihrer Customer Journey und der Betreuung angesprochen werden: Der hybride Kunde entscheidet je nach „Laune", über welchen analogen oder digitalen Kanal er mit seiner Versicherung Kontakt aufnehmen oder Schadensfälle abwickeln möchte. So haben führende europäische Versicherer ihren Schadensbearbeitungsprozess innoviert und den Kunden konsequent in den Mittelpunkt gestellt. Verkürzte Durchlaufzeiten und bessere Customer Experience führen zu höherer Kundenzufriedenheit und erheblichen Kosteneinsparungen. Bildverarbeitung, flexible Entscheidungsregeln und Sprachverarbeitung helfen, Kundeninteraktionen weiter zu optimieren. In Verbindung mit Kundenwert und Betrugsprüfung können so die nächsten Aktionen mit dem Kunden optimiert werden.
Und auch die zahlreichen internen Prozesse einer Versicherung ändern sich durch die Digitalisierung, und es entstehen beachtliche Möglichkeiten, Kosten einzusparen und kundenfreundlicher zu werden. Aktuariate nutzen maschinelles Lernen und automatisierte Entscheidungen, um ein genaueres und dynamisches Pricing umzusetzen. Durch eine agile Methodik und maschinelles Lernen können Tarifmodelle schneller und präziser entwickelt sowie Ratemaking-Prozesse verbessert werden. Automatisierte Operationalisierungsstrecken helfen, Tarife schneller in Produktion (also in den Markt) zu bringen und Echtzeit-Preisoptimierungen durchzuführen. Frühe Adaptoren können mit einer Gewinnsteigerung von ~1 % bis 3 % des GWP rechnen. Digitale Kanäle erfordern aber auch verbesserte Maßnahmen der Betrugsabwehr. Versicherungen in der ganzen Welt bekämpfen wirksam Schadensbetrug durch Analytics. So hat etwa ein mittelständischer europäischer Versicherer in kurzer Zeit die Effizienz des Betrugsermittlungsprozesses um 15 % verbessert und gleichzeitig seine Kosteneinsparung aufgrund des erkannten Betrugs um mehr als 50 % gesteigert.
Die folgende Abbildung fasst einige Beispiele für Potenziale entlang der Wertschöpfungskette zusammen. Es zeigt sich, dass es im Kern immer um automatisierte Entscheidungsprozesse geht.
Ein (mittlerweile klassisches) Beispiel der digitalisierten Versicherung: neues Kundenerlebnis in der Schadensaufnahme
Nehmen wir einmal an, ein innovativer Versicherer hat sich vorgenommen, seinen Schadensprozess zu verbessern und eine ganz neue Kundenerfahrung zu ermöglichen. Schäden sollen künftig ganz einfach per App eingereicht und abgewickelt werden. Ganz modern und kundenfreundlich. Wenn ein Kunde, sagen wir, beim Rangieren im engen Parkhaus der Säule mit dem Stoßfänger „Hallo" sagt, kann das bei modernen Autos durchaus ein Schaden sein, der finanziell keine Bagatelle mehr ist. Die Kunden der modernen Assekuranz nehmen dann den Schaden mit einer App selbst auf, dokumentieren ihn mit einer kurzen Beschreibung und einem Foto und laden alles hoch. Ziel ist es, dass einfache Fälle im besten Fall noch am selben Tag reguliert werden. Aber auch bei anderen typischen Unfällen im Straßenverkehr soll so die Zeit bis zur Regulierung dramatisch verkürzt werden. Der Versicherer nimmt die Kunden- und Vertragsdaten auf, die Schadensbeschreibung und die hochgeladenen Fotos des Schadens, die der Kunde ja direkt in der App macht, und ermittelt dann in Echtzeit die wahrscheinliche Schadenshöhe, führt aber im Hintergrund auch eine Abschätzung der Betrugswahrscheinlichkeit durch. Kleinere und unverdächtige Schäden können dann quasi durchgewunken werden.
Wie sieht ein Projekt aus, das diese Idee umsetzt?
Der Fortschritt der Digitalisierung liegt also darin, komplexe Entscheidungen zu automatisieren. Doch was braucht es dazu? Andreas Gödde beschreibt dies in seinem Beitrag „Digitalisierung? Disruption? Decisions!" sehr treffend. Einerseits ist Freiheit und Flexibilität gefragt, um schnell auf Änderungen reagieren zu können und je nach Aufgabe und Fähigkeiten der Projektbeteiligten das richtige methodische und technische Instrumentarium zu haben. Agilität und „fail fast" sind wichtige Stichworte. Die der Fragestellung und Projektphase angemessene Compute-Power ist ein weiterer Aspekt. All dies lässt sich zusammenfassen unter dem Schlagwort „Choice". Auf der anderen Seite stehen Verlässlichkeit, Wiederholbarkeit, Skalierbarkeit, Transparenz und die Treue zu Spielregeln (Datenschutz, Code of Conduct, KI-Ethikrichtlinien). Sind die Entscheidungen, die getroffen werden, also vertrauenswürdig und „korrekt" im Sinne des Ziels und der Rahmenbedingungen? Kann ich Entscheidungsprozesse stabil und nachvollziehbar automatisieren? All dies ließe sich mit „Control" beschreiben. Aus technischer Perspektive fallen einem in diesem Kontext sofort Begriffe wie Analytics in Cloud-Umgebungen oder Container für schlankes Deployment, Elastizität und Skalierbarkeit ein.
Doch wie sieht nun das Spannungsfeld zwischen Choice und Control ganz konkret in der Praxis aus? Zunächst die Perspektive des Projekts: Ein solches funktioniert typischerweise in zwei Phasen und folgt dem DevOps-Prinzip. Im Umfeld von Datenanalyse sprechen wir auch von DataOps – ein Konzept, das neben dem Fokus auf Daten auch dem Faktor Team und den unterschiedlichen Fähigkeiten, die im Projekt benötigt werden, Rechnung trägt. Relevante Ansprechpartner in der Versicherung gibt es natürlich zuhauf – allem voran die Geschäfts- bzw. Fachbereiche, aus denen solche Innovationsansätze meist entstehen und die bei der Umsetzung maßgeblich beteiligt sind. Für die technische Umsetzung des Projekts „neuer Schadensprozess" sind vor allem drei Rollen wichtig: der Enterprise Cloud Architect, die IT und natürlich der Data Scientist.
In der ersten Phase geht es darum, die Frage, die zu beantworten ist, durch Datenanalyse zu verstehen und zu modellieren. Das hat viel mit Ausprobieren und Explorieren zu tun. Welche Daten tragen zum Beispiel am besten dazu bei, die Schadenshöhe aus den Daten, die der Kunde liefert, möglichst gut abzuschätzen? Wie analysieren wir am besten die Bilddaten, die uns zur Verfügung stehen? Bei der Datenanalyse geht es nicht nur um Werkzeuge zur Verarbeitung und Analyse der Daten. Es geht ganz entscheidend um die Zusammenarbeit des Teams. Und das bringt unterschiedliche Fähigkeiten und Erfahrungen mit. Diese Vielfalt müssen agile Projektteams unter ein Dach bringen. Dabei müssen sie ein attraktives Umfeld schaffen, das Wahlmöglichkeiten lässt: Egal mit welchen Datenquellen, Programmiersprachen, Visualisierungen und analytischen Methoden sie arbeiten – was passt, soll möglich sein. Data Scientists haben einen unwiderstehlichen Drang, Daten zu verstehen. Und sie haben oft genaue Vorstellungen, wie und mit welchen Tools sie das machen wollen. Sie kennen Open Source aus ihrer Uni-Zeit, wollen auch am liebsten mit Python und anderen Open Source Tools arbeiten. Digitalisierungsverantwortliche sind daran interessiert, dass sie diese Fähigkeiten nutzen und den Mitarbeitern die Wahl der Waffen überlassen können. Trotzdem möchten sie Resultate schnell produktiv in den Geschäftsprozessen nutzen und Governance, Nachvollziehbarkeit, Transparenz und Wiederholbarkeit sicherstellen.
Wenn das gut gelöst ist, geht es in der zweiten Phase darum, die Entscheidungsregeln zu formulieren und im Geschäftsprozess scharfzuschalten. Was soll also konkret passieren, wenn 10.000 EUR wahrscheinliche Schadenshöhe bei einem eher niedrigen Betrugsscore für einen Kunden mit hohem Abschlusspotenzial für die Zukunft ermittelt wurden?
Wichtig ist: Solche Regeln sind eigentlich nie fertig und perfekt. Die Daten ändern sich, der Versicherer lernt dazu, die Anforderungen werden nachgeschärft. Das Projektteam ist hier ganz dicht am Geschäft und muss mit hoher Agilität eine schneller Time-to-Market realisieren. Gleichzeitig geht es aber um geschäftskritische Entscheidungen, die gegebenenfalls von Kunden, Management oder Regulatoren hinterfragt und von mir und meinen Kollegen erklärt werden müssen. Da ist der Digitalisierungsverantwortliche also ganz persönlich in der Verantwortung. Wichtig ist also, hier keine einmaligen Laborprozesse zu haben, sondern Wiederholbarkeit, Transparenz, Überprüfbarkeit. Kontrolle über die Daten, Modelle und Entscheidungsregeln. Sicherheit und Datenschutz müssen gewährleistet sein. Und während bei ersten Pilotanwendungen vielleicht noch ein einzelner Held ein tolles Anwendungsbeispiel geliefert hat, geht es nun, da die Geschwindigkeit und Breite analytischer Anwendungen durch die Digitalisierung dramatisch zunehmen, ganz wesentlich um Nachhaltigkeit und Skalierbarkeit. Und genau hier erlaubt es der DataOps-Ansatz, auf der einen Seite agil und innovativ zu sein, auf der anderen Seite aber auch kontrolliert und zuverlässig.
Innovationen in der digitalisierten Unternehmenswelt sind nie fertig. Die Antwort von SAS darauf ist: Es braucht einen agilen Prozess, der Fachbereiche, Data Scientists und IT zusammenbringt und dabei jedem die Arbeit leicht macht, die er am besten kann. Alle arbeiten aber in einem einheitlichen und verbundenen analytischen Ökosystem, das Choice und Control zulässt. So hat die IT keine Schwierigkeiten, Cloud Services zu nutzen und gleichzeitig die vorhandenen Daten direkt im eigenen Hause in einer hybriden Architektur für die Analyse bereitzustellen. Choice und Control. Data Scientists können wählen, mit welchen Tools und Methoden sie ihre analytischen Fähigkeiten am besten einbringen. Das ist Choice. Sie tun dies in einer Umgebung, die skalierbar ist, die eine Governance und die Nachvollziehbarkeit aller Arbeitsschritte zulässt und die ein zuverlässiges Deployment der Ergebnisse garantiert. Container, die moderne Anwendungen als „Payload" beinhalten, können je nach benötigter Power in der Entwicklung oder Anfragelast im Betrieb vervielfältigt oder eingestampft werden. Das ist Control. Die Enterprise-Architekten haben vorher eine passende Architektur designt und bereitgestellt und können damit die Performance der Anwendung jederzeit sicherstellen. Die SAS Plattform ist dabei das Bindeglied, das den Produktlebenszyklus von KI-Anwendungen managt: eine offene Plattform, die elastisch betrieben werden kann – in der Cloud, im eigenen Rechenzentrum der Versicherung oder in irgendeiner Kombination davon. Eine Plattform, die am Ende automatisiert intelligente Entscheidungen draußen im Geschäftsprozess trifft, wie hier am Beispiel einer neuen Schadensbearbeitung gezeigt. Denn erst, wenn die sauber läuft, verdienen Versicherungen mit automatisierten Entscheidungen auch Geld.