Neulich habe ich mit Kollegen die kleinen, feinen Unterschiede diskutiert, die es innerhalb sehr fein definierter Kundensegmente gibt. Da ist mir die Werbung einer amerikanischen Bank wieder eingefallen: Sie zeigt Bilder von eineiigen Zwillingen, die einen Altersunterschied von nur zehn Minuten haben. Die Werbung zeigte, welch große Auswirkungen selbst eine solch geringe Differenz haben kann. Denn die beiden hatten sich völlig unterschiedlich entwickelt, in ihren Persönlichkeiten, Interessen, und Karrieren – letzteres bei der gleichen Bank.
Die Parallele zur Marketingwelt: Ganz gleich, wie granular und analytisch fortgeschritten Kundensegmente sind, sie bilden nicht die kleinen Unterschiede im Verhalten von Einzelpersonen ab. Oder mit den Worten der zuvor genannten Werbung: „Identisch in jeder Hinsicht - nur nicht, wie sie denken“.
Datenorientierte Marketiers versuchen schon eine Weile, ihr Kundenverständnis einem „Segment-of-one“-Ansatz anzunähern: Jeder Kunde wird - im Idealfall - ganz persönlich angesprochen anstatt mit Massenbotschaften. Eine solch hochgradige Individualisierung lebt davon, dem Kunden mit all seinen Eigenheiten, in denen er sich von anderen unterscheidet, förmlich „zuzuhören“, ihn zu verstehen und entsprechend zu behandeln.
Herausforderungen einer wirklich personalisierten Ansprache
Stellen wir uns einen Webshop mit Markenkleidung vor: Zwei auf den ersten Blick identische männliche Kunden, dem Segment „junge Berufstätige“ zugeordnet, interessiert an eleganten Anzügen und Accessoires, shoppen beide online, bekommen dieselben aktuellen italienischen Designs angezeigt … und eines Tages klickt einer der beiden plötzlich auf Kinderkleidung.
Hat er sich verklickt? Hat dieser junge Mann Nachwuchs bekommen? Oder ist er womöglich auf der Suche nach einem Geschenk?
Und noch wichtiger: Welche Angebote sollte er bei seinem nächsten Besuch im Shop zu sehen bekommen? Verschieben wir ihn automatisch in das Segment „junge Eltern“? Wie können wir wissen, ob das Stöbern in der Kinderkleidung einmalig war oder eine dauerhafte Verhaltensänderung anzeigt? Können wir Rückschlüsse aus anderen Daten ziehen, um sein Verhalten zu erklären?
Die Technologien, um genau das zu tun, gibt es bereits. Wir haben leistungsstarke Lösungen zur Verarbeitung von Big Data und besitzen die analytischen Fähigkeiten, um uns durch diese Datenberge zu wühlen und relevante Verhaltensmuster zu erkennen. Und das sogar in Echtzeit.
Aber: Die Komplexität, die hinter der Sammlung und Integration von Daten steht, bremst diese Bemühungen erheblich. Unternehmen sind oft gleichermaßen von der schieren Menge an Daten überfordert wie auch davon, in ihnen Strukturen und Gemeinsamkeiten zu identifizieren. Silo-Strukturen, Spartendenken und isolierte Kanäle erschweren es Organisationen häufig, eine 360-Grad-Sicht zu einzelnen Kunden zu entwickeln.
Neuausrichtung auf den Einzelnen statt auf Segmente
Ich bin der Ansicht, dass Kundenzentrierung einen neuen Stellenwert einnehmen wird. Längst ist die Erkenntnis angekommen, dass Daten, Mitarbeiter, Prozesse und Technologie eines Unternehmens sich um den Kunden drehen müssen, um ein wirklich personalisiertes Erlebnis zu schaffen. Das ist der Schlüssel, um Kunden zu gewinnen und zu binden.
Die Herausforderung ergibt sich an anderer Stelle: Angenommen, ein Unternehmen würde über die Ressourcen verfügen, alle Daten und Analysen an einem Ort zu bündeln und hätte darauf basierend eine intelligente Sicht auf historische Verhaltensdaten für jeden einzelnen Kunden– es würde doch in vielen Situationen daran scheitern, schnell genug auf aktuelle Ereignisse zu reagieren.
Die aus meiner Sicht wichtigste Komponente für Marketiers und Datenanalysten ist eine zentrale Engine, über die sich Daten, Analysen und Entscheidungen für sämtliche Kundeninteraktionen in Echtzeit managen lassen. Diese zentrale Instanz fungiert als „Gehirn“, das kanalübergreifend Kontextinformationen auswertet. Es trifft im Hintergrund Echtzeitentscheidungen für sämtliche Kanäle, welche Nachricht an jeden einzelnen Kunden gehen sollte.
Viele Unternehmen machen den Fehler, zwar eine Personalisierungslogik zu entwickeln, diese dann aber auf einen Kanal zu beschränken (in der Regel ist das die Website oder der mobile Kanal). Wenn diese Kanäle losgelöst voneinander agieren und nicht über eine zentrale Instanz Daten austauschen, erfährt niemand von Erkenntnissen oder Entscheidungen an den anderen Kontaktpunkten – das gilt für Mitarbeiter im Callcenter ebenso wie in der Filiale oder im E-Mail-Marketing.
Die Aufgabe des „Gehirns“
Werfen wir noch einmal einen Blick auf unser Beispiel: Die Verhaltensänderung unseres jungen männlichen Kunden darf nicht isoliert betrachtet werden. Sobald der Kunde mit dem Einkauf von Kinderkleidung beginnt, sollte die zentrale Instanz in Aktion treten.
Sie erzeugt fortwährend neue Kontextinformationen, etwa aus Clickstream-Daten von der Website oder von der mobilen App. Neue Daten werden in Echtzeit durchleuchtet, um zu entscheiden, ob eine vorgegebene Handlung (z.B. eine geplante Werbeansprache) gegenüber dieser Person angepasst werden sollte. Dieser Prozess berücksichtigt alle vorhandenen Daten, z.B.:
- eine intensive Beschäftigung mit der Marke innerhalb der vergangenen Minuten oder Stunden
- Erkenntnisse aus Social Media mithilfe von Text Analytics
- Surfhistorie, etwa um zu erkennen, wenn Seitenaufrufe wiederholt erfolgen
- Kaufhistorie, um zu sehen, ob "Ausreißer" jedes Jahr zur selben Zeit gibt.
Zum Schluss trifft das „Gehirn“ die Entscheidung, ob es notwendig ist, das dem Kunden bisher zugeordnete Segment und die Bewertung anzupassen. Es legt fest, welche Aktion für dieses Individuum zu diesem Zeitpunkt die richtige ist, und diese Entscheidung wird unmittelbar allen anderen Kanälen, Marken und Datenquellen mitgeteilt.
Ist das den Aufwand, die Zeit und das Geld wirklich wert? Unsere Kunden sind der Ansicht: Ja!
Und hier ein Beleg: Ein Mobilfunkbetreiber kann in Echtzeit erkennen, ob ein Kunde kurz davor steht, sein Datenvolumen aufzubrauchen. Sein Problem war bisher, dass er nicht schnell genug auf solche Bedarfssituationen mit einem passenden Angebot reagieren konnte, sondern erst mit Verzögerung von einigen Stunden. Und dann war die Ansprache häufig nicht mehr relevant. Deshalb stellte der Anbieter auf ein zentrales System um, das in Echtzeit Entscheidungen über personalisierte Angebote treffen kann. Die Response-Rate sprang von zuvor 5 auf nun rund 24 Prozent und sorgt für Umsatzzuwächse in Millionenhöhe. Dieses Ergebnis wird sich wohl mit zunehmenden Analysefähigkeiten noch verbessern.
Zeit für einen Wechsel
Mein Fazit: Kein Unternehmen sollte seine Kunden wie eineiige Zwillinge behandeln. Die Verbesserung von Segmentierung und zielgerechter Kundenansprache ist ein langer Prozess – starten sollten Unternehmen lieber gleich als morgen und mit den Mitteln, die sie haben. Mein Tipp an Sie zum Weiterlesen: Unser aktuelles White Paper „Analytics in Real-Time Online Marketing“ zeigt erste praktische Schritte auf, um den Kundendatenschatz zu heben.