Der Interpretationsspielraum zwischen „Bean Counter“ und „Business Partner“ ist immens. Nicht umsonst sind die Meinungen sehr unterschiedlich, welcher konzeptionelle Controlling-Ansatz der „richtige“ ist. Nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in der Praxis findet man deutliche Unterschiede vor, welches Selbstverständnis das Controlling in den Unternehmen hat. Ich möchte heute jedoch nicht über koordinations- oder informationsorientierte Controlling-Konzeptionen philosophieren, sondern die Frage stellen: Wieviel Analytik braucht das moderne Controlling? Welche Möglichkeiten gibt es und welches Rollenverständnis ist dafür notwendig?
Bedeutung der Analytik
Das Verarbeiten, Analysieren und Interpretieren von Daten ist eine Kerndisziplin im Controlling und erfordert technisches, analytisches und fachliches Know-how bei bereichsübergreifenden Themen. Legt man nun eine (fast beliebige) Definition eines Data Scientist daneben, so fällt auf, dass die gefragten Fähigkeiten eine gewisse Überschneidung haben. Muss der moderne Controller sich also zum Data Scientist entwickeln? Die Antwort lautet: Nein. Allerdings wird die fortschreitende Digitalisierungswelle nicht so schnell halt machen und erfordert in vielen Controlling-Abteilungen eine deutliche Weiterentwicklung. Dabei reicht es nicht einfach, alle Auswertungen „schicker“ zu machen und per Mobile Device zu verteilen. Vielmehr geht es darum, neue Methoden der Datenanalyse, wie z. B. Analytik, zu erschließen und effizient zu nutzen. So werden neue wertvolle Erkenntnisse gewonnen, welche zukünftig einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil darstellen.
Doch wie kann sich ein erfahrener Controller Analytik zu Nutze machen, ohne gleich die Hilfe eines Data Scientist zu benötigen?
Excel? R? Irgendetwas aus der Cloud? Oder war da nicht noch etwas mit Machine Learning? Sucht man bei Google nach Controlling+Analytics, so erhält man über 10 Millionen Treffer. Möglichkeiten ohne Ende, aber wo und wie fängt man nun am besten an? Eine einfach zugängliche und intuitive Möglichkeit ist die visuelle Datenexploration. Also weg von den Excel-Tabellen, hin zu intelligenten Visualisierungen, die den Daten neue und wertvolle Informationen entlocken. Realisieren lässt sich dies – je nach Datenbasis, analytischen Vorkenntnissen und Reifegrad – in vier Schritten.
4 Schritte zur analytischen Exzellenz
Schritt 1: Fachliche Fragestellung
Bevor es an die Analyse geht, sollte stets die Frage gestellt werden: Wofür? Welche Daten sollen zu welchem Zweck analysiert werden? Habe ich Heuristiken oder Hypothesen, welche ich überprüfen möchte? Welches Ergebnis wird angestrebt? Welche Erkenntnis wäre wertvoll?
Schritt 2: Daten erkunden
Auf Basis der fachlichen Fragestellung können nun vorhandene Daten explorativ untersucht werden. Zunächst sollte die Datenbasis geprüft werden: Stimmt die Datenqualität (z. B. fehlende Werte, einheitliche Kategorie-Ausprägungen)? Sind passende Analysevariablen im richtigen Format (z. B. Zeit- oder Geo-Daten) und in einer passenden Struktur (z. B. klare Hierarchien) vorhanden? Können notwendige Kennzahlen (z. B. Deckungsbeiträge) aus den bestehenden Metriken berechnet werden? Wie sind die Werte verteilt? Welche Muster sind erkennbar?
Schritt 3: Analytische Modellierung
Besonders spannend wird Analytik, wenn es in Richtung Modellbildung geht. Kann ich aus meiner Datenbasis ein Modell ableiten, welches mir z. B. das Kundenverhalten oder die Produktionsqualität beschreibt? Mit analytischen Treiberanalysen lässt sich herausfinden, welche Einflussfaktoren sich wie auf bestimmte Zielgrößen (z. B. Umsatz oder Kosten) auswirken. Mit einer Clusteranalyse können beispielsweise homogene Kundensegmente kenntlich gemacht werden, die sich dann individuell analysieren lassen. Moderne Business Analytics Tools ermöglichen dem Anwender bereits auf visueller Ebene, aus der explorativen Analyse heraus, eine einfache Modellbildung. Ein statistisches Grundwissen ist hierbei hilfreich, der Anwender muss jedoch kein Experte für die Verfahren oder Algorithmen sein.
Schritt 4: Fortgeschrittene Analytik (Data Science)
Je nach Reifegrad kann die Analytik weiter ausgebaut werden. Es können komplexere Verfahren eingesetzt werden und detaillierte Einstellungen gesetzt werden. Ein tiefergehendes Verständnis für statistische Verfahren ist dann zwar notwendig, dennoch muss nicht zwangsweise gleich auf Code-Ebene ein passendes Modell programmiert werden. Auch hier gibt es grafische Werkzeuge, die es dem fortgeschrittenen Analytiker ermöglichen, Data Science zu betreiben. Schlussendlich ist sogar eine Industrialisierung der Analytik möglich, so dass aus individuellen Analysen produktive Prozesse werden.
Der Controller als Citizen Data Scientist
Schritt 1 und 2 sind, je nach Selbstverständnis, typische Controlling-Tätigkeiten. Was kann nun Analytik diesbezüglich für den Controller tun? Durch geeignete Visualisierungsmethoden können schnell und einfach erste Erkenntnisse über die Daten gewonnen werden. Mit einem Boxplot kann z. B. die Verteilung von Werten veranschaulicht werden. Gibt es Ausreißer? Wie stark ist die Streuung? Oder man nutzt eine Korrelationsmatrix, um die Beziehung zwischen einzelnen Attributen abzubilden. Gibt es beispielsweise nicht-triviale Abhängigkeiten zwischen verschiedenen Risiko-Kennzahlen? Ein visuelles Analysewerkzeug, welches per Klick geeignete Verfahren zur Verfügung stellt, ist dabei ein probates und meist sehr hilfreiches Mittel.
Doch dies ist noch nicht das Ende der Fahnenstange. Bereits heute werden in Controlling-Abteilungen analytische Verfahren zur Modellbildung benutzt. Nicht immer werden die statistischen Möglichkeiten der Werkzeuge ausgereizt. Doch die Entwicklung geht merklich voran. Der Controller als Business Partner von morgen arbeitet deutlich analytischer. Gleichzeitig wächst die Anzahl der analytischen Fragestellungen vielfach schneller, als die Anzahl der Data Scientists. Einige praktische Beispiele finden Sie in meinem nächsten Blog oder dem unten verlinkten Artikel.
Visual Analytics – Vorausschauende Analyse statt klassischem Reporting - Zeitschrift Controlling (Heft 8/9-2016, S. 495 – 501) oder direkt zum Download als PDF.