Jahreswechsel bieten sich für Bestandsaufnahmen an. Mit ein wenig Abstand betrachtet fällt mir auf, dass die Spezialisten-Themen „Analytics“, „Big Data“ und vor allem „künstliche Intelligenz“ (KI) längst im publizistischen Mainstream angekommen sind. Täglich erscheinen in allen möglichen Publikumszeitschriften neue Artikel, die zwischen Euphorie und Pessimismus jede Facette anbieten. Grund genug, mich mit einem Experten auf dem Gebiet zu unterhalten. Befragt habe ich Dr. Andreas Becks, der bei SAS in der DACH-Region den Presales-Bereich für Versicherungen leitet. Er ist Experte für Analytics und beschäftigt sich intensiv mit Machine Learning und künstlicher Intelligenz.
Thomas Keil: Andreas, was ist für Dich das Top-Thema im Bereich Analytics 2018?
.@becks_andreas, was ist für Dich das Top-Thema im Bereich Analytics 2018? #KI #KünstlicheIntelligenz Click To TweetAndreas Becks: Jenseits von Schlagworten geht es – wie immer und ganz nüchtern – um verbesserte Wertschöpfung aus Daten. Und nicht, wie man denken könnte, in erster Linie um Deep Learning, Neural Networks oder künstliche Intelligenz.
Keil: Aber es geht doch schon um den Begriff „künstliche Intelligenz“, oder nicht?
Becks: Auch. Ich plädiere aber dafür, die wichtigste Perspektive bei all dem Hype nicht aus den Augen zu verlieren: Was bringt‘s? Was bringt es für die Gesellschaft, für den Verbraucher und für die Unternehmen? Was kann jetzt angeboten und vermarktet werden, das vorher nicht möglich war? Sich nur auf das technisch Denkbare zu konzentrieren, ist nicht ausreichend.
So haben wir selbstverständlich 2017 einige Durchbrüche gesehen: Die Machine-Learning-Software Alpha Zero kann jetzt Schach und Go spielen, die Sprachassistenten Siri, Alexa und Google Assistant haben eine massenhafte Verbreitung gefunden. Aber es gibt auch Rückschläge und Skepsis: Die für 2017 angekündigte autonome Autofahrt mit einem Tesla durch die USA ist verschoben worden, auch haben sich nicht alle Hoffnungen bei Watson erfüllt.
Dennoch ist ganz klar: Das Thema ist gesellschaftlich hoch relevant. Gefühlt ist nämlich jeder unmittelbar betroffen – und zwar dann, wenn es um die Frage der Arbeitsplätze geht. Studien sagen voraus, dass 50 Prozent der Arbeitsplätze in Deutschland in den nächsten 20 Jahren wegfallen. Aber das ist nicht der Weisheit letzter Schluss: Es werden auch neue und anders qualifizierte Jobs entstehen, traditionelle Jobs werden sich grundlegend ändern.
Keil: Was ist denn für Dich am spannendsten? Was weckt Deine Aufmerksamkeit bei all dem Hype?
Becks: Ich werde immer dann besonders hellhörig, wenn es um sehr konkrete Anwendungsbeispiele geht. Ob ein Computerprogramm besser oder schlechter Go spielen kann, ist wissenschaftlich sehr interessant. Aber wenn es tatsächlich gelingen sollte, meinetwegen Gesundheitskosten signifikant zu reduzieren (bei gleichbleibendem Versorgungsstandard, wohlgemerkt!), dann sollte man sich damit schon näher beschäftigen. So scheint es in Großbritannien jetzt ein Beispiel zu geben, in dem unnötige Untersuchungen, die medizinisch nichts bringen oder sogar schädlich sein können, vermieden werden.
Oder in der Automatisierung von aufwendigen Leseprozessen: Im Bereich Text Analytics ist sicherlich eine Menge zu holen. Die „Konzentration“ lässt bei einer Maschine eben nicht so schnell nach wie bei einem Menschen. Im Gegenteil: Mit jedem neuen Input wird die Maschine effizienter. Diese Art von Projekten wird aber nicht so häufig publiziert – weil sie, aus dem Zusammenhang gerissen, einerseits die Unsicherheit bezüglich Arbeitsplatzabbau verstärkt. Und weil sie andererseits natürlich auch konkrete Wettbewerbsvorteile bringt. Eine Großbank hatte im Februar 2017 erläutert, wie sie hier vorgeht – eines der meist zitierten Beispiele in den sozialen Netzwerken im letzten Jahr.
Darüber hinaus gibt es natürlich viele Visionen und Ideen für alle möglichen Branchen und Geschäftsmodelle, hier ein paar Beispiele:
- Handel: Artificial Intelligence in Retail – 10 Present and Future Use Cases
- Versicherung: siehe meine Zusammenfassung
- Banken: Banking in the Age of AI
- Allgemeine Studie zum Status von KI: SAS Studie „The Enterpise AI Promise: Path to Value“
Keil: Welche großen Trends siehst Du?
Becks: Ich sehe, dass sich die Weltpolitik immer mehr mit dem Thema künstliche Intelligenz beschäftigt. Putin, China, USA – überall wird von KI gesprochen. Google eröffnet ein KI-Zentrum in China, und der chinesische Staat investiert Milliarden in einen KI-Unternehmenspark. Analytics oder auch die massive Nutzung von Daten – das sind längst keine rein technologischen Themen mehr. Umso spannender wird es zu sehen, ob und wie es der Politik in Deutschland vielleicht doch noch gelingt, eine entsprechende Start-up-Kultur, Grundlagenforschung und einen Infrastrukturausbau hier bei uns zu organisieren.
Denn – das muss uns klar sein – wir leben längst in einer „Analytics Economy“. Die großen Tech-Firmen aus den USA und mehr noch in China (Tencent, Alibaba) basieren letztlich auf Daten- und Analytics-getriebenen Geschäftsmodellen. Wertschöpfung wird auch in traditionellen Industriezweigen von der Komponente Analytics bestimmt werden. Nehmen wir das Beispiel Uber als „Taxiunternehmen“. Hier werden in der Vision Autos nur noch als austauschbare Zulieferteile in einem perfekt verschmolzenen Mobilitätsangebot verstanden.
Keil: Womit wirst Du Dich also 2018 besonders beschäftigen?
Becks: Für mich geht es um Umsetzung: Welche Technologien sind vorhanden und können heute schon eingesetzt werden? Darüber hinaus weitet sich der Blick auf die damit verbundenen Fragen, seien es ethische, rechtliche oder organisatorische. Es ist wichtig, dass wir uns als Anbieter transparent und offen den Diskussionen stellen – zumal wir als Bürger ja wirklich alle betroffen sind.