Big Picture – Weihnachtsserien, Netflix und die Wünsche des Zuschauers

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Zwischen den Jahren hat man Zeit für Familie, Freunde und Hobbies. Dass eines meiner Hobbies "TV-Serien" ist, hat vielleicht mit den in meiner Kindheit beliebten Weihnachtsserien zu tun. (Mein Favorit: Jack Holborn. Kennen Sie die Serie noch?)

Aber die Zeiten ändern sich und wir uns mit: Die ZDF-Produktion war gestern, heute lebe das Streaming. Da es mit Netflix einen Anbieter gibt, der Big Data Technologien einsetzt, dachte ich, es sei vielleicht mal interessant, zu recherchieren wie Netflix eigentlich funktioniert und für einen Blogbeitrag zusammenzustellen. Ergänzungen und Hinweise sind herzlich willkommen.

Auf Knopfdruck

Netflix ist erfolgreich. Dabei ist Erfolg keine Selbstverständlichkeit: Einige Wettbewerber gelten als defizitär. Während sich der „Neue“ mit der Produktion eigener Serien ziel- und trittsicher in fremden Terrain bewegt. Überhaupt ist erfolgreich in diesem Zusammenhang ein wichtiges Attribut: Das Unternehmen hat 50 Millionen Kunden, ist in 40 Märkten aufgestellt und erwirtschaftet einen Gewinn von 112 Millionen USD (2013). Also, was macht Netflix anders?

Quelle: Netflix, Medien-Center
Quelle: Netflix, Medien-Center

Daten. Und vielleicht noch: Daten!

Für das kalifornische Unternehmen gilt: Daten sind die Basis für die Optimierung von Prozessen innerhalb einer Organisation, für eine verbesserte Interaktion mit Kunden oder sogar für völlig neue Geschäftsmodelle. Theoretisch ist das kein #Neuland, aber eben nur wenige Unternehmen leben diese Philosophie so konsequent wie der Streaming-Anbieter. Die Website Information Management schätzt, dass die digitale Videothek mehr als 10 Petabyte Daten in ihrem Warehouse hat. Bei über 25.000 Videos allein im deutschen Sortiment -inkl. all der täglichen kleinen Interaktionen (Pause, Vorspielen, Trailer anschauen)- kommen da eine Menge Daten zusammen. Und eine Menge nachweisbarer Muster. Wie verändert sich das Nutzerverhalten von August zum September? Im Allgemeinen, in bestimmten Kundensegmenten? Ändern sich Vorlieben grundsätzlich? Wie lange darf eine Folge einer Serie sein? 22, 24 oder besser über 45 Minuten? Diese Fragen kann man auch auf anderen Wegen nachweisen, aber Netflix kann es in Echtzeit. Ohne Messfehler oder Zeitverzögerungen. Punkt. Natürlich braucht es dafür auch eine entsprechende Datenbank. Aber wir reden hier von Netflix, nicht wahr? Also wahrscheinlich auch nicht so überraschend, dass das Thema Cloud hier ganz groß geschrieben wird und natürlich auch Hadoop eine Rolle spielt.

Jede gute Story beginnt mit der Datenhaltung

Wer Big Data bei Netflix sagt, meint Daten in der Cloud. Und noch eigentlicher das Technologie-Stack des Amazon Web Services. Laut Information Management setzt der Streaminganbieter dabei auf zwei primäre Hadoop-Cluster für die großen Rechenprozesse und ein weiteres Cluster für Ad-hoc-Abfragen. Weiterhin gibt es drei Bonus-Cluster, um die nächtlichen Batch-Verarbeitung zu beschleunigen. Wer mehr darüber lesen will, dem sei der Artikel im Information Management empfohlen.

Wichtig ist dem Video-Anbieter, dass das Gros der Mitarbeiter auf die Daten zugreifen kann. Kollegen aller Abteilungen können sehen, wie viele Kunden welche Filme im welchen Zeitraum angesehen haben. Sie haben Einblick in Entscheidungen wie Vertragserneuerung, Kündigung und die Bewertung einer Sendung oder eines Film. Kundendaten können basierend auf Region, Zahlungsweise und andere Merkmalen ausgewertet werden, um festzustellen, wie das Produkt Netflix verbessert werden kann. Beispielsweise in dem man eigene Serien produziert.

Daten in Serie – warum „House of Cards“ so erfolgreich war

Stellen Sie sich vor, sie sind ein Entscheider in einem Sender. Sie hätten also eine Serie eingekauft und stellen jetzt fest, dass der Import auffallend gut geht. So gut, dass sie denken, mit einer nationalen Produktion hätten sie einen noch breiteren Markt. Was würden Sie dann tun? Netflix hatten einen Import, die britische Serie „House of Cards“ für die das zutrifft. Es gab Überschneidungen mit einer großen und vor allem sehr stabilen Fan-Base von Schauspieler Kevin Spacey und der nicht minder kleinen Anhängerschaft von Kult-Regisseur David Fincher.

Quelle: New York Times 

Alles zusammen genommen: Erfolg auf der ganzen Linie. Die Präferenzen spielten dann auch wieder bei der Vermarktung eine Rolle. Fans von Spacey bekamen Trailer zu sehen mit Kevin in Großaufnahme. Diejenigen die Finchers Regiearbeit bevorzugen, bekamen Trailer in denen seine düstere, mysteriöse und zugleich unterhaltsame Handschrift zu erkennen war. Und Fans der Original-Serie sahen Trailer in denen die Ähnlichkeit mit dem Original betont wurde. Wer genau hinschaut, muss zugegeben, dass Netflix das Rad nicht neu erfindet. Sie führen eine Erfolgsserie fort (Arrested Development), adaptieren Erfolgsserien für den US-Markt (House of Cards, The Killing) oder suchen sich Partner, die mehr Erfahrung bei der TV-Produktion haben (z.B. der norwegische Sender NRK bei Lilyhammer). Aber das sie sich die richtigen Rosinen rauspicken und sich so erfolgreich in für sie unbekanntem Terrain bewegen, lässt sich sicher darauf zurückführen, dass es mit dem, was sie aus ihren Daten herausholen, schon gar nicht mehr so unbekannt war. Aber das ist nur ein Beispiel, zugegeben vielleicht das beeindruckendste, weil es das Zusammenspiel von Big Data und Kreation zeigt, was wiederum eine der größten Herausforderungen ist. Es gibt auch weitere Punkte.

The End? Ach was, Daten sind nur der Anfang

Netflix analysiert beispielsweise die Farbwerte eines Teasers und die Analysten sind in der Lage diese Ergebnisse anzupassen auf Vorlieben ihrer Kunden. Gibt es Kundengruppen, die bestimmte Trends bei der Gestaltung von Werbemitteln bevorzugen? Braucht es mehr Freisteller, Weißfläche oder Tile-Struktur? Wie viel rot soll es sein und warum dominiert bei einer Horror-Serie die Farbe Orange auf den Plakaten? Die Ansätze dazu wurden im Rahmen des Hadoop Data Summit 2013 vorgestellt, die auch in Slideshare eingestellt wurde.

Hadoop

Eines zeigt auch die Innovationskraft des Unternehmens: Netflix gilt als sehr innovativ beim Verbessern der Prognosealgorithmen (unter dem Stichwort Collaborative Filtering bekannt), die Produktempfehlungen für Kunden treiben. Anstatt die Modelle weitgehend selbst zu entwickeln und weiter zu optimieren, hat man einen Wettbewerb (Netflix Prize) ausgelobt, um externes kreatives Know-how von Analytikern für die Verbesserung der Modelle zu nutzen. Und auch hier war man erfolgreich.

Was man jetzt davon lernen kann

Zwei Punkte sind allen datengetriebenen Unternehmen (d!conomy) gemeinsam, die man beim Netflix eben sehr gut erkennen kann.

  1. Die Analyse von Daten ist Teil der Alltagsroutine. Nur das tägliche Arbeiten mit den Daten, und zwar auf Anwenderebene, versetzt Netflix dazu in der Lage.
  2. Um aus den Daten wirklich verwertbare Ansätze rauszuziehen, müssen sie so aufbereitet werden, dass man damit arbeiten kann. Oder in einem Wort: Visualisierung.

Das bedeutet natürlich auch ein Umdenken in den Köpfen. Also eben zuerst in die Daten zu schauen und danach Schlussfolgerungen abzuleiten. Und nicht: Zuerst eine Meinung haben und anschließend nach Beweisen dafür in den Daten zu suchen. Der Produktionsprozess ist meiner Meinung nach nicht das Ende der Kreativität (was Volker Schütz für die Werbebranche auch so sieht in diesem Artikel). Sie gibt ihr vielmehr einen Rahmen: In den Entscheidungen zur Serie, zur Ausgestaltung des Drehbuchs und der einzelnen Charaktere sind Schauspieler und Regisseur dann frei.

Netflix Geschäftsmodell ist eher der Anfang vom Ende schlechter Unterhaltung. Am Ende entscheiden die Zuschauer tatsächlich. Was allen gefällt, die Musikantenstadl nicht zusammenbringen mit öffentlich-rechtlichen Programmauftrag - während zeitgleich der Qualitätsjournalismus massiv Ressourcen abbaut. Das ist natürlich jetzt wenig reflektiert, immerhin gehört Unterhaltung auch zum Programmauftrag.

Netflix hat etwas geschafft, was andere verzweifelt versuchen: Sie haben den direkten Zugang zu ihren Zuschauern und deren Wünschen.

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About Author

Stefan Hauck

Sr. Social Media Manager

Stefan Hauck ist seit Juli 2011 Social Media Manager bei SAS Deutschland. Nach einem Germanistik- und Politikstudium an der Universität Mannheim begann er als Redakteur in der Unternehmenskommunikation von B2B-Unternehmen. Studienbegleitend hat er als freier Mitarbeiter für diverse Medien geschrieben, u.a. den Mannheimer Morgen. Er kam dann über Stationen bei ABB und Infineon als externer Kommunikationsberater und Projektleiter zum Firmenkundengeschäft der Commerzbank. Berufsbegleitend absolvierte er ein MBA-Studium an der University of West Florida. Im Blog interessiert er sich für Social Media und die Themen rund um unser Portfolio für integriertes Marketingmanagement.

3 Comments

  1. Thomas Keil on

    Im Prinzip ja alles richtig - aber wenn es wirklich so einfach wäre, wieso gibt es nicht ausschließlich nur Blockbuster? Perfekten Regisseur, bekannter Schauspieler, Bestseller als Vorlage - und fertig ist der Kassenknüller. Lässt sich ein künstlerisches Erlebnis, das auf Überraschung, Brechen (oder Übererfüllen) von Erwartungshaltung, auf Staunen und Einfühlen beruht, wirklich berechnen? (Wird es von "House of Cards" eigentlich eine dritte Staffel geben? ;-))

  2. Stefan Hauck
    Stefan Hauck on

    Danke fürs Feedback, Thomas. Stimmt schon ein wenig, was du sagst. Ich habe die These, dass Blockbuster meistens scheitern, wenn sie scheitern, weil die Story nichts taugt. Also auch der beste Darsteller (die beste Darstellerin) kann einen schlechten Plot nicht wirklich ausgleichen.

    Im Fall von House of Cards wusste man, dass die Geschichte grundsätzlich trägt und mit der Ansprache der Fangemeinde eines bekannten Regisseurs und beliebten Hauptdarsteller nur noch einmal zusätzliche Anreize geschaffen werden.

    P.S. zu House of Cards: http://lmgtfy.com/?q=house+of+cards+staffel+3 🙂

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