„Schön wäre das, aber wir müssen realistisch bleiben. Das Netz wird nie hassfrei,“ sagt Sophie Achermann. Dennoch, dafür kämpft sie. Und will Internetuser für Hate Speech sensibilisieren. Mit ihrer Erfindung können du und ich und wir alle Hasstiraden im Netz identifizieren und adäquat darauf reagieren und neutralisieren. Dafür hat die Co-Founderin von der Plattform namens StophateSpeech.ch gemeinsam mit einem Team vor fast drei Jahren einen digitalen Hund programmiert, der den Hass erschnüffelt wie andere seiner Art eine Wurst im echten Leben.
Er heißt Bot Dog und dieser Name lässt unweigerlich auf sein Wesen schließen. Wir haben es mit einem Algorithmus in hündischem Gewand zu tun, der selbstständig Hass aus seinem Jagdrevier Internet apportiert. Der Bot Dog soll niedlich wirken, um damit so viele Internetuser wie möglich zum Mitmachen zu animieren. Denn Frauchen und Herrchen können auf seine digitale Beute mit verschiedenen hinterlegten verbalen Vorschlägen reagieren. Sie können sich aktiv einbinden.
Das Projekt von Sophie Achermann zeigt, inwiefern KI die Ethikdebatte um Künstliche Intelligenz positiv beeinflussen kann. Hier wird erst mittels KI Diskriminierung offengelegt, dabei muss der Algorithmus so diskriminierungsfrei wie möglich trainiert werden. Eine Mammutaufgabe, zugegeben: „Eine rein technische Lösung für ein Problem, das zwar im Internet stattfindet, aber vom Menschen gemacht ist, hat nicht gereicht. Aber eine rein menschliche Lösung hat auch nicht gereicht bei dieser Fülle an Informationen im Netz.“
Hund aus dem Häuschen
Wir wissen alle: Aus ethischer Perspektive betrachtet kommt es auf die Daten an, mit denen ein Algorithmus trainiert wird, will man ihn so biasfrei haben wie möglich. Was ein Paradoxon an sich zu scheint, denn jeder Progammierer hat Voreingenommenheiten, bewusst oder unbewusst, weil er ein Mensch ist. Die Lösung ist Neutralität, eingebaute Subjektivität und Bewusstheit. Rund 600 Freiwillige aus allen Schichten haben den Bot Dog trainiert. Seine digitale Beute wurde mit rund 48.000 subjektiven Bewertungen klassifiziert. Jede konnte nach ihrem subjektiven Gefühl die Beute einordnen.
Sophie und ihre Mitstreiterinnen vertrauen auf eine Herdensubjektivität, die ab irgendeiner Größe neutral und repräsentativ zu werden scheint. Das Hündchen zumindest ist heute soweit, dass Sophie es allein ins Internet schicken kann, um Worte zu erschnüffeln, die nach Hass riechen. Die Community hört aber nie auf, den Doublecheck zu machen. Auch Bot Dog droht das lebenslange Lernen. Sophie’s Ambitionen sind aber nicht die Ethik in Bezug auf Künstliche Intelligenz zu diskutieren.
Ihre Motivation ist es, KI als Vehikel für eine ganz andere Ethikdebatte zu benutzen. Nämlich dem Phänomen der unethischen Gegenrede im Internet zu begegnen, nicht als Bürgerwehr, sondern als Angebotsplattform, um zum Diskurs zu ermutigen. Sophie’s Pfeile anvisieren diese Diskriminierung hier: Die durch den Menschen selbst an seinen Mitmenschen im Internet.
„Wir wollen, dass sich alle aktiv in eine Diskussion einbringen können. Wir wollen den Diskurs fördern und wir wollen Meinungsvielfalt abbilden. Wir wollen die Leute motivieren, selbst im Internet Zivilcourage zu zeigen.“ Die Hemmschwelle liegt im World Wide Web deutlich höher, das zu tun. Von Angesicht zu Angesicht lässt sich schneller eine Gegenhaltung artikulieren.
Die Mutigmachung
Aber kann dies Vorhaben wirklich gelingen oder ist es nicht bloß ambitioniertes Wunschdenken? Lassen sich Menschen, die lieber nicht ihre Meinung äußern, animieren, dies zu tun? Schließlich ist ja gerade das Internet ein Hort der Anonymität, nicht nur für diejenigen, die Hass verbreiten? Schließlich ist das ja auch irgendwie der Grund für viele, im Internet zu kommentieren, Hotels schlecht zu bewerten, Menükarten von Restaurants runterzumachen oder Campingplätze zu verunglimpfen. Wenn nicht wo als im Netz traut man sich das und vor allem liest solches auch gerne. Ja, man erfreut sich spitzbübisch am Leid der anderen. Doch selber einen Kontrapunkt setzen, wenn man eine andere Meinung hat, trauen sich zu wenige. Wie ermutigt ihr zum Mitmachen?
„Ja, das ist eine der größten Herausfordrung. Wie können wir Leute motivieren, sich einzuschalten und sogar auch den Hass noch selber zu suchen, um ihn zu neutralisieren? Das Schweizer Gemüt ist sehr diskret. Die deutsche Note des Direkten liegt nicht in unserer Natur.“
Sophie sagt: „Es scheint wohl so zu sein, dass die Menschen im Stillen revoltieren, aber sich verbal für unfähig halten, darauf zu reagieren.“ Diese Mauer vermag der Bot Dog einzureißen. Dem, was er apportiert, stellt er Herrchen oder Frauchen eine Strategie mit möglichen Antworten vor, damit diese, wenn sie wollen, reagieren können. Damit kann dann getrost reagiert werden, kann getrost eine konstruktive Replik gegeben werden. Nie inhaltlich und nie politisch.
Und dann ist das Hündchen für Sekunden ein Verbündeter. Es ermutigt uns mit seinem freundlichen Antlitz zum Mitmachen. Der Algorithmus wird zur Hochspannungsleitung, die jeden elektrisiert. Wir wollen unweigerlich denken: Nicht zu reagieren, ist keine Option. Das verböte mir mein moralisches Korsett.
Fangen wir nochmal von vorne an. Fragen wir die erste Frage nochmal und hören erneut, was Sophie zu sagen hat. Eine Welt ohne Hass. Geht das denn? „Schön wäre das, aber wir müssen realistisch bleiben. Das Netz wird nie hassfrei. Hass steckt vor allem in Kontexten.“
Zusammenhänge verstecken sich jenseits der einfachen Schimpfwortliste. Der zwischen politischen Farben und Wörtern hat sich versteckt in einem Kontext. „Die Farbe Grün und das Wort Schwein sind zunächst einmal nicht zwingend beleidingend. In einem politsichen Artikel allerdings sieht das schon ganz anders aus.“
Sophie’s Projekt läuft unter dem Lable AllianceF und heißt StophateSpeech.ch. AllianceF ist eine schweizerische Frauenbewegung. Doch Stophatespeech hört nicht bei Frauen auf. Was hat euch dazu bewogen, Sophie? „Die Erkenntnis, dass, subjektiv gesehen, Frauen häufiger angefeindet werden als Männer hatte die Gruppe zu der Frage geführt, inwiefern eine Gesellschaft dem Problem des Netz-Hasses und der Netz-Diskriminierung begegnen könnte. Das war unser Ausgangspunkt, dem Hass als Diskursproblem, Demokratieproblem, als gesamtgesellschaftliches Phänomen - kategorisiert als ein Problem - etwas entgegensetzen zu wollen.“
Ein Hausmittel wirkt
Hass kann andere in ihrer Meinungsfreiheit beschneiden. Das sei in gewisser Weise eine Form von Zensur – nicht durch einen Staat, sondern durch ganz normale Bürgerinnen. Wenn die jungen Leute, deren Aufenthaltsort das Internet ist, nie lernen, dass es auch andere Meinungen gibt, vermittelt das ein falsches Bild von einer Gesellschaft. Und dafür kämpft stophatespeech.ch von Sophie Achermann. „Auch für die Jungen zeigen wir Strategien auf, die gewisse einfache Antwortsätze bereithalten, die aber weder inhaltlicher noch politischer Natur sind.“
Wenn ein Diskurs droht auszuarten, setzen Sophie und ihre Mitstreiterinnen also auf die einfachen Verbalmittel als klassische Hausmittel. Die Webapplication bietet viele Beispielsätze für jeden, der eintauchen will in das Abenteuer Zivilcourage. Diskutieren ja, aber auf eine anständige Art und Weise: Das ist ihr Motto. Und so blicken die Macherinnen nach vorne. Sie zeigen, welche Form der Reaktion gut funktioniert und welche nicht. Sie offenbaren, was den Hass weiter schürt und was das Gegenteil bewirkt.
„Wir wollen unser Wissen mit deutschsprachigen Nachbarländern teilen, damit sie ähnlich gelagerte Projekte wissenschaftlich fundiert bewältigen können.“ Schließlich sammle ihre Plattform so viele Daten, die ausgewertet werden sollten und deren Analysen zu noch mehr Zivilcourage länderübergreifend genutzt werden müssten. Und irgendwann einmal werden auch andere Sprachräume zu Bot Dog’s Jagdrevier.
Danke Sophie für dieses Gespräch!