Von Beschleunigern und Brutkästen AI#26

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Welche Rolle spielen Inkubatoren für unsere Unternehmenslandschaft? Diese Frage haben wir mit drei Universitäten erörtert: der TU Darmstadt, der Goethe-Universität Frankfurt und der TU München, die solche Inkubatorenzentren in unterschiedlichem Gewand ins Leben gerufen haben. Summa summarum kann man sagen, dass Start-ups ein fester Bestandteil des Wirtschaftswachstums in Deutschland sind, und dass sie helfen, die Diskrepanz zwischen akademischer Lehre und unternehmerischer Praxis aufzuheben. Wir wünschen unseren Leser'innen nun viele Erkenntnisse aus diesem Beitrag.

„Wir stehen für Transfer. Die Forschungsergebnisse der TU Darmstadt sollen nicht in einer Schublade liegen bleiben. Sie sollen der Wirtschaft und Gesellschaft zur Verfügung stehen.“ Das macht die TU Darmstadt mit HIGHEST, sagt Harald Holzer, Geschäftsführer von Highest. So heißt das Innovations- und Gründungszentrum. Dabei verfolgt es die Vision, Start-ups aus den Bereichen High-Tech und Digitalisierung zum Erfolg zu transferieren. Unterhält man sich mit Harald Holzer über diese Ambitionen seiner Uni, möchte man die Zeit glatt zurückdrehen und sich selber dort als Wissenschaftlerin begleiten lassen. Das, was er erzählt, hört sich nämlich sehr attraktiv an. Ein Einzelfall? Mitnichten.

Harald Holzer
Harald Holzer

Es ist gerade en vogue, aus einem technologischen Interesse ein Geschäft werden zu lassen. Die Szene nennt das Entrepreneurship. In in dieser Angelegenheit scheint gerade die perfekte Welle über das Land zu sausen. Und viele Hochschulen und Universitäten surfen auf ihr, um sich nicht zuletzt auf dem hart umkämpften Universitätsmarkt in Stellung zu bringen. Man will sich attraktiv machen, denn die Konkurrenz schläft auch hier nicht. Zudem gießt auch der politische Druck zusätzliches Öl ins Feuer: Die Länder unterstützen die Universitäten, die wiederum sehen sich zu exzellenter Forschung veranlasst, die, wie Holzer richtig sagt, nicht in irgendwelchen Schubladen verkümmern soll. Da scheinen Entrepreneurship-Programme gerade an der richtigen Stelle zu sein in Deutschlands Ringen um die wissenschaftliche Vormachtstellung, als Inkubator- oder Accelrator-Einrichtungen.

All das ist nichts neues, natürlich nicht. Auch andere Länder haben dies schon vor vielen Jahren für sich entdeckt. Dennoch, etwas neues boomt gerade. Nämlich der Fokus auf die Digitalisierung, Künstliche Intelligenz oder Data Science. Wie auch immer wir das nun nennen. Diese Teilgebiete der Informatik versprechen Fantastisches. Es gibt keine Branche, keine Industrie, die nicht von diesem Boom profitieren will. Und dementsprechend fokussieren sich auch die Gründungen auf eine sublime Kombination: Industrie plus IT. Holzer sagt: „Da passiert grad viel im Bereich Maschinenbau, Elektrotechnik, Robotik, Sensorik, Energie oder Biotech. Wir haben aber auch viele Gründungen im Cyber-Security-Bereich. Und nun kommen auch viele mit Künstlicher Intelligenz hinzu, das ist ein neuer Schwerpunkt.“

Auf der Suche nach dem Wunderbaren

Auch die TU München engagiert sich in diese Richtung mit dem TUM Entrepreneurship Center. Auch da können sich Studierende, Wissenschaftlerinnen und Doktoranden an die Gründungsberatung der Uni wenden, wenn sie aus einer Idee ein Business erwachsen lassen wollen. Der Erstkontakt scheint ganz simpel zu sein: „Also wir haben mehrere Gründungsberater beschäftigt, in der Regel fünf Leute. Die kann man einfach anrufen. Da gibt es auf der Website der Universität eine Telefonnummer“, beschreibt Holger Patzelt, Professor für BWL und Entrepreneurship an der TU München das Angebot knapp und ist erleichtert, dass keine Bürokraten am Werk sind. Denn sonst ginge die avisierte flexible Beratung gar nicht. Und es braucht nicht viel, um teilzunehmen. „Wir haben sehr erfolgreiche Gründer, die manchmal noch nicht mal den Bachelor-Abschluss fertig haben.“

Holger Patzelt
Holger Patzelt; (Eckert und Heddergott)

Das Interesse im Süden Deutschlands scheint so überragend zu sein, dass Patzelt von mehreren hundert Erstkontakten im Jahr spricht, die die Gründungsberatung erreichen. Hört sich an, als könne jede anrufen. Und in der Tat, man muss als Gründungsinteressierter bloß die Idee, und wo man mit der gerade so steht skizzieren. Dann gibt es erste Tipps für nächste Schritte.

Die wunderbaren neuen Gründerinnen werden aber auch aus Events der Uni selbst rekrutiert. Die Universität macht  mehrmals jährlich einen fakultätsübergreifenden Hackathon, der auf das Studienprogramm angerechnet wird. BWLer, Informatiker oder Elektrotechniker entwickeln gemeinsam Ideen. „Und wenn die dann ein gewisses Reifestadium hat, können sie bei uns, in unserem Inkubator, Räumlichkeiten kostenfrei beziehen und werden permanent vom Gründungsberater betreut, bis die Idee soweit steht, dass sie sich eben zum Beispiel qualifizieren für eine öffentliche Förderungen.“

Denn so schön eine Idee auch sein mag, findet sie keine finanzielle Zuwendung, wird aus ihr wahrscheinlich nichts. Und auch da sehen sich die Universitäten in der Pflicht. In München und auch in Darmstadt werden Möglichkeiten zu öffentlichen Förderanträgen vermittelt. Und es wird geholfen, die Anträge richtig auszufüllen. Bloß den Business Case zu haben, reicht halt nicht.

Der öffentliche Förderantrag - wie geht der?

„Und genau da helfen wir“, sagt Holzer aus Darmstadt. Sein Kollege in München pflichtet ihm bei wie wichtig diese Hilfe für die Gründerinnen ist. „Also wir schreiben nicht den Antrag, aber wir helfen, den Antrag so zu formulieren, dass er mit einer großen Wahrscheinlichkeit erhört wird.“ Das sei wichtig für Mittel, die explizit über eine Universität laufen wie die Förderung zur Existenzgründung namens EXIST.

Die TU München schleust pro Jahr rund 20 erfolgreiche Anträge durch. Ist dann alles im Sack, haben die Gründerinnen Zugriff auf allerlei Dinge wie Räumlichkeiten für Büros oder Laborplätze. Die Goethe-Universität in Frankfurt hat für all das den Unibator. Der Unibator stellt Mentoren aus verschiedenen Bereichen wie Technik und Accounting bereit. Frankfurt rühmt sich übrigens mit Lehrveranstaltungen, die auf das Thema (Start-up-) Gründungen eingehen. Dr. Sönke Bästlein vom Unibator ordnet ein: "Es gibt Universitäten wie Stanford, an denen es praktisch keinen Studenten gibt, der nicht parallel irgendwann in irgendeinem Start-up mit rumbastelt. Da sind wir natürlich noch weit weg von.“

Sönke Bästlein
Sönke Bästlein

Und so sieht Bästlein das Programm als Mittel, Wissen und Forschung in die Bürgergesellschaft kaskadieren zu können. Und so findet auch er, dass es einen Transfer in eine neue Form der Wirtschaft benötige und sieht Start-ups als probate Instrumentarien. „Wenn ich als Universität Führungskräfte ausbilden will, heißt das für mich zwangsläufig, dass ich Studenten auch als Gründer fördern muss.“ Wenig verwunderlich ist es da, dass auch er noch mehr studiengangintegrierte Seminare für Gründer einfordert. Und er sieht, man lese und staune, die Wirtschaftswissenschaften in der Pflicht. Hier müssten die Programme verortet werden.

Nun gut, Vision hin oder her, wir halten fest: Es geht a) um den Wissenstransfer; b) forschungsstarke Unis haben eine gesellschaftliche Verpflichtung und c) deshalb müssen Hochschulen Gründertum bei Studenten oder Doktoranden fördern; d) die Spill-over-Effekte sind nicht zu unterschätzen. Kann einem Land etwas besseres passieren, als dass sich junge Unternehmen ansiedeln? Nein! Da werden ja natürlich auch Arbeitsplätze geschaffen. Blicken wir kurz nach Nordrhein-Westfalen an die Technische Universität Aachen, so findet man viele kleinere Unternehmen - teilweise auch größere -, die sich in dem Umfeld niedergelassen und Jobs generiert haben in der Region.

In München hat man es natürlich leichter. Patzelt lehrt in einem dankbaren Umfeld. Die TU München vermittelt natürlich den Wissenschaftlern und Studierenden auch Kontakte zu eben diesen Technologiefirmen, die im Müncher Raum ohnehin sind. Junge Gründer können mit diesem Netzwerk quasi aus dem Vollen schöpfen. So lernen sie schnell ihre Ideen auch auf die Bedürfnisse potenzieller Kunden hin zu entwickeln.

„Das sind für mich die wichtigsten Voraussetzungen.“

Doch nochmal zurück zu den Kandidatinnen und Kandidaten und den Voraussetzungen, die sie mitbringen müssen. Holzer aus Darmstadt weist auf einen sehr interessanten Aspekt hin. Zwar kommen die meisten Impulse von den Wissenschaftlern, doch da zeigt sich eine kleine Hürde in Sachen Wertesystem. Ihnen geht es ja per definitionem um Forschungsergebnisse, um Publikationen. „Und da muss man im Prinzip im Kopf bereit sein, dieses Wertesystem zu verlassen“, nämlich aus einer wissenschaftlichen Erkenntnis ein cooles Produkt werden zu lassen. Die technische Entwicklung muss userfähig werden. Und hier fehlt es oft an Kompetenzen bei den Wissenschaftlern. „Die Voraussetzung, im Kopf frei zu sein und auch ergänzende Kompetenzen zu akzeptieren, ist noch nicht da. Es muss moderiert werden, nicht die reinen Forschungsergebnis als höchste zu erreichende Einheit zu glorifizieren, sondern sein komplettes Denksystem in Richtung Geschäftsmodell zu erweitern.“ Holzer findet, dass man einen gewissen Reifegrad braucht, um diesen Prozess  proaktiv und auch konstruktiv bei den Wissenschaftlerinnen zu begleiten. „Das sind für mich die wichtigsten Voraussetzungen.“

Herzlichen Dank an Harald Holzer, Holger Patzelt und Sönke Bästlein für diese Insights.

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Andrea Deinert

Journalist // Blogger for AI and Data Science // Data Science Community Liaison // Academic Liaison || Portraits opinion leaders from politics, society and research to reveal the meaning of AI and ethics for future society.

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