Wenn sich Experten über Künstliche Intelligenz unterhalten, wird es schnell technisch und häufig auch euphorisch. Eine positive Grundstimmung dominiert, vor allem unter den Experten, die mit dem technischen Fortschritt auf irgendeine Art und Weise Geld verdienen. Anders ist es, wenn ganz normale Menschen zu diesem Thema ins Gespräch kommen. Dann dominieren die Ängste vor dem, was da wohl auf die Menschheit, den Wirtschaftsstandort Deutschland und konkret jeden Einzelnen so zukommt.
Gut beobachten konnte ich das Ende August auf der „MS Wissenschaft“, einer sehr löblichen Kommunikationsinitiative des Bundesbildungsministeriums. Dieses ehemalige Frachtschiff ist zu einer fahrenden Ausstellung umgebaut worden und schippert schon seit vielen Jahren jedes Jahr immer mit einem anderen Thema durch Deutschland (und gelegentlich auch Österreich). Das Thema dieses Jahr: Künstliche Intelligenz.
Grundsatzdebatte über Verantwortung und Vertrauen
Den Stopp in Mannheim nutzte die örtliche IHK Rhein-Necker und organisierte gemeinsam mit der MS Wissenschaft eine Panel-Diskussion unter Experten. Gedacht als Beitrag zur Wirtschaftsförderung (wie lassen sich aus Big Data Smart Data machen und damit Unternehmen besser führen bzw. neue Geschäftsmodelle generieren) wurde es doch mehr zu einer Grundsatzdebatte über Ängste und Befürchtungen.
- Haben Digitalkonzerne zu viel Macht?
- Wie kommen wir aus Echokammern und Fakenews heraus?
- Werden unsere Daten nicht alle missbraucht?
- Welche Jobs gehen verloren?
- Gibt es ethische Richtlinien, an die sich alle halten müssen?
- Hat Deutschland noch eine Chance?
- Welche Ausbildungswege brauchen wir?
- Betrifft es uns alle, wo ist KI heute schon?
- Ist nicht unser ganzes Wirtschaftssystem fraglich, wenn der einzelne Unternehmen immer reicher und mächtiger werden und umgekehrt viele nicht mehr von ihrem Job leben können?
- Ist es nicht eine Hybris, wenn das Silicon Valley meint, alle Probleme der Welt mit Technologie lösen zu können?
Diese Fragen lassen sich auch als ein Hilferuf nach Aufklärung interpretieren. Wir wissen alle längst aus eigener Erfahrung, wie stark etwa Google, Amazon, Apple & Facebook in unser Leben verwoben sind. Verlieren wir unser Smartphone, müssen wir unser Leben neu organisieren. Die Musik, die wir hören, wird von Streamingdiensten genauso vorgeschlagen und gefiltert wie die Filme und Serien. Unsere Lebenspartner finden wir mithilfe von Matching-Algorithmen in Onlinebörsen – ein besonders perfides Spiel: Denn im Geschäftsmodell der Partnerbörsen ist eine Verbindung zweier Menschen auf immer letztlich geschäftsschädigend, weil diese beiden als Kunden für immer verloren sind. Anders formuliert: Auf welche Art von Partnerschaft ist der Algorithmus wirklich programmiert?
Viel Mensch bleibt am Ende übrig
Auch im Berufsleben erfahren wir die Wirkung von Algorithmen oder neuerdings eben häufiger als „KI“ / Künstliche Intelligenz subsumiert. Personalabteilungen scannen Lebensläufe automatisiert. Der Posteingang sortiert unwichtige E-Mails in einen eigenen Ordner und gibt Ratschläge zur Einrichtung von Fokuszeiten. Maschinen und Anlagen mit ihren Sensornetzwerken werden hoch automatisiert gesteuert.
Aus dieser persönlichen Betroffenheit lassen sich dann eben allgemeine und gesellschaftliche Fragestellungen ableiten:
- Wollen wir Menschen uns autonomen Entscheidungssystemen ausliefern? Anders gefragt: akzeptieren wir es, dass ein autonom fahrendes Fahrzeug besser fährt als ich; dass ein Robo-Advisor automatisch mein Geld anlegt und verwaltet?
- Wie objektiv und fair sind solche Algorithmen? Das liegt an den Daten, mit denen sie gefüttert („trainiert“) wurden. Beispiel: Die Vorhersagemodelle von Rückfallquoten von Kriminellen in den USA wurde trainiert an teils rassistisch geprägten Urteilen der Vergangenheit. Der pseudoobjektive Einsatz in US-Gerichtssälen, um einen Vorschlag für die Länge der Strafe zu erhalten, ist deshalb höchst kritisch zu bewerten.
- Produktivitätsgewinne erhalten nur noch die Besitzer von Produktionsmitteln und nicht mehr menschliche Arbeiter. Stimmt das? Welche Jobs gehen verloren? Oder ist es nicht vielmehr so, dass ehemals komplexe Aufgaben nun von minder-qualifizierten Menschen übernommen werden können, weil etwa der Logistiker von Navigationssystemen und präzisen Ladeanweisungen („In welcher Reihenfolge belade ich meinen Transporter?“) unterstützt wird?
Gerechtigkeit und Transparenz
Aus meiner Sicht ergibt daraus ein massiver Aufklärungsauftrag an alle, die Anwendungen der künstlichen Intelligenz entwickeln oder betreiben. Um in diesem Bereich Gerechtigkeit, Verantwortlichkeit und Transparenz herzustellen (auf Englisch: „Fairness, Accountablitiy, Transparency“ / „FAT“) bedarf es mehr als freiwilliger Selbstverpflichtungen.
- Regulatorik: Nach der Datenschutzgrundverordnung brauchen wir weitere Präzisierungen, die dem technischen Fortschritt gerecht werden und eine Balance zwischen „Auswüchse verhindern“ vs. „Chancen ermöglichen“ herstellen.
- Ausbildung: Eine mathematisch-programmiertechnische Ausbildung muss ergänzt werden durch im weiteren Sinne ethische Grundlagen. Gelegentlich wird schon über einen „hippokratischen Eid“ für Entwickler von Algorithmen nachgedacht. Das etwas schwammig gewordene Google-Motto „Don´t be evil.“ zeigt, dass letztlich nur eine Werteorientierung helfen wird, um der technischen Entwicklungsdynamik jederzeit Schranken setzen zu können.
- Wirtschaftsförderung: Die digitale Transformation, die auf den Pfeilern Big Data, Internet der Dinge, Cloud Computing und Künstlicher Intelligenz beruht, wird Verwerfungen in der Unternehmenslandschaft nach sich ziehen. Unternehmen werden verschwinden, neue werden entstehen. Es muss eine Aufgabe der Politik sein, günstige Rahmenbedingungen für Unternehmen dort zu schaffen, wo Arbeitskräfte aus traditionellen Unternehmen frei werden.
- Forschung und Wissenschaft: Europa kann sich als ethisch zuverlässiger Player im Kampf der Systeme positionieren. In den USA streben mit Hilfe von Technologien der Künstlichen Intelligenz Venture-Capital-finanzierte Silicon-Valley-Unternehmen die nächste Iteration im Turbokapitalismus an und träumen alle von profitablen Monopolstellungen in den Bereichen, die sie digital angreifen. In China bedient sich ein autokratischer Staat immer geschickteren Überwachungsmethoden, um möglichst effektiv und geräuschlos die Kontrolle zu behalten. Europa hingegen kann sich um einen fairen Ausgleich aller Interessen bemühen, die Akzeptanz der Technologie fördern und neue Arten des gesellschaftlichen Konsenses erproben. Es muss nicht gleich das bedingungslose Grundeinkommen sein – aber eine Abgabe auf Produktivitätsgewinne durch Automatisierung, die zweckgebunden zur Förderung sozialer und edukativer Projekte eingesetzt wird, wäre ja auch eine Option.
Vieles davon passiert bereits. Es wird breit diskutiert und es werden neue Regeln verhandelt. Studiengänge verändern sich und werden neu geschaffen. Das darf nur nicht in kleinen Expertenkreisen diskutiert werden, sondern möglichst breit aus möglichst verschiedenen Blickwinkeln. Deshalb am Ende einige Hinweise:
- Viele Grundlagenthemen zu Künstlicher Intelligenz behandelt der Podcast „KI kompakt“. Auf jeder gängigen Plattform verlinkt - hören Sie einmal rein!
- Besuchen Sie Meetups und kommen Sie dort ins Gespräch. Aus eigener Erfahrung empfehle ich „Frankfurt Data Science“, aber auch den „Webmontag Frankfurt“, die „Women Techmakers“ und viele andere Plattformen.
- Auf dem Stuttgarter Zukunftssymposium geht es um die Zukunft der Arbeit und spannende Vorträge geben einen tieferen Einblick.