Innovation Labs gibt es schon seit einiger Zeit in allen Varianten. Einige gehören zu großen Unternehmen, andere zu Forschungsinstituten. Die RWTH Aachen hat ein solches Innovation Lab, das European 4.0 Transformation Center (E4TC), ins Leben gerufen und sucht Unternehmen, die sich daran beteiligen. Wie genau ein solches Innovation Lab funktioniert, erklärt Thomas Gartzen als Geschäftsführer des E4TC.
Andreas Gödde: Thomas, was genau ist das E4TC und wie sieht Ihre Tätigkeit hier aus?
Thomas Gartzen: Das E4TC ist eine Kooperationsplattform. Sie verbindet Unternehmen aus der Industrie mit unserer Universität. Zweck ist es, über eine bi- und multilaterale Zusammenarbeit Digitalisierungsideen zu erforschen, zu entwickeln, anzuwenden, zu validieren und zu testen. Wir versuchen dabei, eine möglichst realistische Umgebung herzustellen, zum Beispiel in Form einer konkreten Produktionsumgebung. Das unterscheidet unser Innovation Lab von vielen anderen.
Wir arbeiten zum Beispiel viel mit e.GO zusammen, einem Start-up, das 2015 von einem unserer Professoren gegründet wurde und ein preiswertes Elektroauto zur Marktreife entwickelt hat. Da das Auto schon dieses Jahr zum Verkauf angeboten werden soll, musste der Entwicklungsprozess sehr schnell gehen. Für unser Center war das eine tolle Chance, mit einem solchen Prozess zu arbeiten und Dinge auch mal anders anzugehen.
Gödde: Fokussiert ihr euch also auf Digitalisierung?
Gartzen: Ja, denn wir sind davon überzeugt, dass Digitalisierung der Kern für eine agile und iterative Fertigung ist. Mit digitalen Methoden und Prozessen können wir ein neues Produkt sehr schnell entwickeln und marktfähig machen – sogar, wenn es sich dabei um ein disruptives Produkt handelt. Das E4TC und seine Partner, die vorwiegend aus dem Softwarebereich kommen, konnten e.GO als einen hervorragenden Use Case für ihre Produkte nutzen und zeigen, wie sich ein solches Projekt tatsächlich umsetzen lässt. e.GO ist gewissermaßen ein Experiment für uns: Es macht deutlich, was man mithilfe von Digitalisierung erreichen kann, wie sie die Fertigungsindustrie beeinflusst und welche Vorteile sie bietet.
Gödde: Glauben Sie, dass das nur bei einem Start-up möglich ist, oder können auch renommierte Unternehmen davon profitieren?
Nur weil ein Unternehmen ein Projekt realisiert hat, ist es noch lange nicht digitalisiert. Es ist ein langfristiger Prozess, aber jedes Unternehmen ist digitalisierbar. #InnovationLab #Digitalisierung Click To TweetGartzen: Na ja, der Begriff „digitale Transformation“ ist ziemlich schwammig. Nur weil ein Unternehmen ein Projekt realisiert hat, ist es noch lange nicht digitalisiert. Ich denke, man muss das eher als einen langfristigen Prozess sehen. Meiner Meinung nach ist jedes Unternehmen digitalisierbar, wenn es drei wichtige Aspekte im Auge behält.
Der erste ist das kulturelle Umfeld, in dem sich das Unternehmen befindet. Wir Deutschen legen zum Beispiel großen Wert auf Effizienz. Ein Großteil unserer Digitalisierungsarbeit ist daher auf Prozesse ausgerichtet – beispielsweise in der Produktion und Entwicklung. Das klingt erst mal sehr nach interner Optimierung, bezieht aber auch Prozesse ein, die die Kunden betreffen. In anderen Ländern konzentriert man sich gleich zu Beginn auf den Kunden.
Der zweite Aspekt, der zu beachten ist, sind zukünftige Erwartungen der Verbraucher. Jedes Unternehmen sollte darüber nachdenken, wie es seine Produkte für das digitale Zeitalter optimieren kann. Denn vielleicht werden in Zukunft nicht mehr nur physische Produkte verkauft, sondern auch gleich die passende Software dazu, die an das Produkt gekoppelt ist. Oder man bietet einen Mehrwertservice über ein vernetztes Produkt an, das Daten liefert. Unter Umständen müssen Unternehmen über neue Geschäftsmodelle nachdenken – und das ist auch schon der dritte Aspekt: Unternehmen müssen den bisherigen Customer Lifecycle erweitern, indem sie über ihr momentanes Geschäftsmodell hinausdenken. Dabei müssen sie sich stets fragen, wie sie mit dem Kunden Kontakt halten und ihm zusätzlichen Mehrwert bieten können.
Gödde: E4TC ist tatsächlich ein Innovation Lab. Welche Tipps haben Sie für Unternehmen, die darüber nachdenken, selbst ein Innovation Lab zu gründen?
Gartzen: Ganz wichtig ist, dass ein Innovation Lab eine gesunde Balance findet: Einerseits muss es in die bestehende Struktur des Unternehmens eingebunden sein, andererseits aber auch die Freiheit zur Innovation haben. Denn das Problem vieler solcher Labs ist, dass sie sich verselbstständigen und einfach loslegen – das passiert dann aber nicht im Sinne der Mutterfirma. Oftmals machen sie ihr eigenes Ding, ohne wirklich die Unternehmensziele im Blick zu behalten. Deshalb ist es wichtig, dass die Mitarbeiter im Innovation Lab wissen, was übergeordnet im Unternehmen los ist und zu welchem Zweck sie an Innovationen forschen. Dennoch sollte ihnen genug kreativer Freiraum und Abstand eingeräumt werden.
Eine Möglichkeit, diesen Mittelweg in der Praxis zu finden, ist die Bildung von temporären externen Teams, die nur aus fünf, sechs Mitarbeitern bestehen. Diese Teams brauchen Freiraum zum Experimentieren, aber auch Zugang zu Experten. Insofern ist ein Standort sinnvoll, an dem auch andere innovative Unternehmen angesiedelt sind. Das ist ein wichtiger Vorteil, den wir hier mit dem E4TC haben. Im Umfeld des Zentrums gibt es sehr viele Experten und kurzfristig abrufbaren Support. Egal, welche Frage einen gerade beschäftigt – man kann sicher sein, dass sich ein Experte dazu in der Nähe befindet. Temporäre Innovationsteams machen es einfacher, die innovativen Entwicklungen ins Unternehmen zu bringen. Der zweite Rat, den ich jedem Unternehmen geben möchte, das über die Gründung eines Innovation Labs nachdenkt, lautet: Fragen Sie sich vorher, wie Sie die Innovationen in Ihr Unternehmen integrieren können.
Im zweiten Teil des Interviews unterhalten wir uns über den Einfluss von Innovation Labs auf Geschäftsmodelle und darüber, wie sie Innovation neu definieren.
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