Schaut man auf die Digitalisierungsprojekte der Versicherer, dann fällt auf, dass ein Großteil im Wesentlichen Prozessverbesserungen und Kosteneinsparungen sind. Prozesse und Kosten – das sind nicht gerade „moderne“ Begriffe und sie sind gefühlt das Gegenteil dessen, was an Buzzwords und Statements im Kontext Digitalisierung und Innovation genannt wird. Dass solch eine Prozessverbesserung aber durchaus mit modernsten Mitteln und innovativ umgesetzt werden kann und am Ende nicht nur Kosten spart, sondern auch einen positiven Einfluss auf die Customer Journey haben kann, zeigt das folgende Beispiel.
Die automatische Bildanalyse im KFZ-Schadensfall wird bei Versicherern immer populärer.
So ist es möglich, anhand von Fotos eines beschädigten Fahrzeugs durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz automatisch zu ermitteln, ob es sich bei dem Schaden um einen wirtschaftlichen Totalschaden handelt oder ob eine Reparatur noch lohnt und welche Werkstatt für die Reparatur am geeignetsten ist. Gleichzeitig wird geprüft, ob die Bildmetadaten, also z.B. Aufnahmedatum oder Aufnahmeort, zur Schadenschilderung passen. Das bringt gleich mehrere Vorteile mit sich. Nach entsprechendem Training ist der Algorithmus in der Lage, Totalschäden besser zu erkennen als der Schadensachbearbeiter, was zur Folge hat, dass weniger Autos kostenintensiv repariert werden, bei denen es sich gar nicht mehr gelohnt hätte. Diese Fähigkeit der besseren Einschätzung führt auch zu einer höheren Genauigkeit, mit der Schadenrückstellungen schon früh im Prozess gemacht werden können, und verringert unnötige Kapitalbindung. Und natürlich spart eine automatisierte Entscheidung durch KI auch Zeit, was sich positiv sowohl auf interne Kosten als auch auf das Kundenerlebnis auswirkt. Heutzutage sind Kunden immer weniger bereit, wochenlang auf die Regulierung eines Schadens zu warten, und erwarten ständige Transparenz und guten Service.
Aber reicht ein gut trainierter Algorithmus aus, um erfolgreich zu sein? Kann man den Bildern, mit denen die KI gefüttert wird, überhaupt trauen? Öffnet man damit Betrügern nicht Tür und Tor?
Nein, ein gut trainierter Algorithmus alleine reicht nicht aus. Heutzutage gibt es viele Möglichkeiten des „Bildbetrugs“. Manchmal werden Bilder einfach aus dem Internet heruntergeladen, Bilder vergangener Schäden erneut verwendet, oder Bilder digital manipuliert, um Versicherungsleistungen zu erschleichen. Daher ist es ebenso wichtig, dass man den Bildern an sich und den damit verbundenen Metadaten auch vertrauen kann. Aber wie kann man das sicherstellen, am besten einfach und unkompliziert? Natürlich gibt es Mittel zur Bildforensik und Experten, die sich darauf spezialisiert haben. Aber statt hier zusätzlich zu investieren oder Spezialwissen aufzubauen, kann man dieser Herausforderung auch technisch mit Bordmitteln begegnen. Mittlerweile haben fast alle Versicherer z.B. eine Schaden-App. Erlaubt man der KI nur Bilder zu analysieren, die mit der App gemacht wurden und sichert die Übermittlung entsprechend ab, hat man schon viel geschafft. Wer noch weiter gehen möchte, kann die Bilder sogar digital versiegeln und in einer Blockchain ablegen. Damit lässt sich noch stärker sicherstellen, dass die zu analysierenden Fotos auch wirklich vom Kunden stammen, und gleichzeitig wäre die Blockchain auch eine ideale Grundlage für eine Prozessautomatisierung oder sogar Dunkelverarbeitung durch Smart Contracts und KI. Eine Erhöhung der Prozesstransparenz für den Kunden und die Senkung von Durchlaufzeit und Kosten wären das Ergebnis.
Vielleicht weniger populär, aber nicht minder interessant ist der Vorher-Nachher-Vergleich von Bildern durch KI, z.B. in der Gebäudeversicherung.
Im Schadenfall, z.B. bei einem Dachschaden nach einem Sturm, werden auch oft Bilder in die Bearbeitung mit einbezogen. Quellen dazu können unter anderem Drohnenaufnahmen, Satellitenbilder oder Streetview sein. Diese Bilder können nicht nur dabei helfen, den Schaden an sich zu begutachten, sondern auch den Schaden mit dem Zustand des Daches vor dem Sturm oder bei Antragsannahme zu vergleichen. Auch diese Bilder können aus dem Netz, von Drittanbietern oder sogar aus den eigenen Underwritingsystemen kommen.
Das hat gleich mehrere Vorteile:
Es lassen sich Karten und Bilder mit Sturmdaten über Areale und Bilder mit beschädigten Häusern legen und so noch genauer ermitteln, wie stark die versicherten Risiken beschädigt sind und welche Summe für die Schadenreservierung zurückzustellen ist. Dies ist in der Folge sicher auch für Risikoeinschätzung und Pricing in den Aktuariaten interessant
Man kann prüfen, ob
- die Schadenbeschreibung der Realität entspricht,
- die Reparatur durchgeführt wurde und in welcher Qualität,
- mehr als nötig repariert wurde,
- das Gebäude vorher in normalem oder ungewöhnlich abgenutztem Zustand war,
- Vorschäden bestanden haben,
- u.v.m.
Was kommt nach der Bildanalyse?
Die beiden genannten Beispiele der automatischen Bildanalyse sind bisher nur von einem Teil der Versicherer umgesetzt. Doch schon steht mit Augmented Reality der nächste technische Fortschritt vor der Tür. Neue Handys beherrschen diese Technik schon und so ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch AR Einzug in die Schadenbearbeitung hält. Was wäre, wenn Kunden statt eines Fotos vom verbeulten Kfz gleich ein AR-Video vom Ort des Geschehens an den Versicherer übermitteln? Das Informations- und Nutzenpotenzial wäre ungleich höher, z.B. hinsichtlich der Umgebung und eines möglichen Hergangs, und würde den Bedarf an Gutachtern vermutlich weiter reduzieren.