KI und die Angst um meinen Job: Wie eine emotionale Debatte zu einer sachlichen und konstruktiven Auseinandersetzung werden kann

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Wird KI die Spaltung unserer Gesellschaft in die „Elite“ und den „besorgten, abgehängten Rest“ dramatisch beschleunigen? Zum Beispiel durch hocheffektive personalisierte Medizin, die sich nur wenige leisten können? Oder den Wegfall von automatisierbaren Jobs im Mittelstand, während die hochqualifizierte Elite ihre Machtpositionen beibehält oder gar ausbaut? Oder bietet sich nicht eher die großartige Chance für Unabhängigkeit, Gesundheit und langes Leben ohne wirtschaftliche Zwänge für breite Teile der Bevölkerung? Fragen, die aktuell in den Medien, an den Arbeitsplätzen, auf privater und politischer Ebene höchst kontrovers und emotional diskutiert werden. Und das erwartungsgemäß nicht immer ausgewogen und realistisch, was ich mit Blick auf die Erwartungen an KI im Unternehmenseinsatz schon in einem früheren Beitrag diskutiert habe.

Künstliche IntelligenzAuch die Frage, wie viele und welche Jobs durch KI und die damit einhergehende Automatisierung entstehen oder verloren gehen werden, wird aktuell sehr unterschiedlich beantwortet. Sicher ist jedenfalls: Unsere Jobs werden sich ändern. Und wir werden die Rolle unserer Arbeit im Leben neu definieren müssen. Die Rahmenbedingungen für eine insgesamt gute Entwicklung zu schaffen, ist vor allem eine gesellschaftliche und politische Aufgabe, an der wir alle mitarbeiten können und müssen (und ich gehöre zu den Optimisten, die glauben, dass die Dystopie wahrscheinlich nicht eintreten wird). Aber dies erfordert eine deutlich sachlichere Debatte. Und ich frage mich: Welchen Beitrag kann ich dazu leisten? Und wie wird diese Entwicklung eigentlich von jungen Menschen wahrgenommen, die gerade in ihr Berufsleben starten? Wie es der Zufall will, habe ich Mirjam Baldas kennengelernt, frisch gebackene Absolventin des Studiengangs für Internationales Management der Freien Universität Amsterdam. Mirjam schaut nicht nur mit den Augen einer Berufsstarterin auf das Thema – sie interessiert sich so brennend für eine ausgewogene Diskussion, dass sie die Frage der Auswirkungen der KI auf den Arbeitsmarkt zum Gegenstand ihrer Abschlussarbeit gemacht hat. Ich hatte Gelegenheit, mich mit ihr über ihre nun wissenschaftlich untermauerte Sicht der Dinge zu unterhalten.

Andreas Becks: Mirjam, in deiner Masterarbeit hast du dich mit der Frage beschäftigt, wie der Einfluss von KI auf unsere Arbeitswelt in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Was war dafür dein persönlicher Antrieb?

Mirjam Baldas
Mirjam Baldas

Mirjam Baldas: Fluch und Segen von neuen Technologien werden momentan über alle Medien hinweg diskutiert und das Thema künstliche Intelligenz (KI) ist hierbei omnipräsent. Beim Lesen vieler Beiträge merkt man jedoch, dass sich diese öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema dahingehend entwickelt, dass sich immer stärker zwei Lager bilden. Auf der einen Seite erleben wir eine Technikbegeisterung, die so weit geht, dass KI als Allheilmittel im Kampf gegen weltweite Probleme wie Hunger und Klimawandel gehandelt wird. Auf der anderen Seite sehen wir jedoch eine wachsende Gruppe von Menschen, die sich von eben diesen Technologien zunehmend bedroht fühlt, sei es in Form von Arbeitsplatzverlust oder Überwachung. Natürlich gibt es ein breites Spektrum an Meinungen, die sich zwischen diesen zwei Extremen bewegen, aber mein Eindruck war, dass der Diskurs relativ stark innerhalb dieser Lager stattfindet, man sich also in einer sogenannten Meinungsblase bewegt und es nur relativ wenig Austausch mit Andersdenkenden gibt. Aus diesem Grund wollte ich in meiner Arbeit herausfinden, wie verschiedene Berufsgruppen den Einfluss von KI auf die Arbeitswelt empfinden.

Außerdem beginne ich meine eigene berufliche Karriere in einer Zeit, in der sich die Arbeitswelt durch den Einsatz neuer Technologien ständig ändert und intelligente Anwendungen dem Menschen immer mehr Arbeitsschritte abnehmen können, während gleichzeitig neue Arbeitsfelder erschlossen werden. Daher hatte ich auch ganz persönlich großes Interesse daran, wie verschiedene Akteure der IT-Industrie den Arbeitsmarkt der Zukunft einschätzen.

Becks: Wie bist du an die Frage herangegangen?

Baldas: Für meine Studie habe ich Menschen aus verschiedenen Berufsgruppen befragt, die auf irgendeine Art beruflich mit dem Thema KI in Berührung sind, d. h. Entwickler, IT-Berater, Manager führender IT-Unternehmen sowie Wissenschaftler, die im Bereich KI Forschung betreiben. In den Gesprächen habe ich zunächst nach der beruflichen und privaten Nutzung von intelligenten Tools und Programmen gefragt und anschließend nach Chancen und Risiken von KI sowie nach Zukunftsprognosen für den Arbeitsmarkt.

Becks: Du korrelierst also den fachlichen Hintergrund der Befragten mit ihren Einschätzungen. Was ist die wichtigste Erkenntnis? Was hat dich überrascht?

Baldas: Die Auswertung meiner Interviews hat gezeigt, dass die Art, wie wir den Einfluss von KI auf die Arbeitswelt empfinden, stark von unserem Beruf abhängt, genauer, von der Nähe des Berufs zum Kern der Technologie. Je direkter ein Interviewpartner mit der Entwicklung von KI zu tun hatte, desto differenzierter war die Wahrnehmung von Risiken und Chancen von KI. Je weiter der Beruf eines Interviewpartners vom technologischen Kern entfernt war, desto extremer positiv oder negativ war die Einschätzung zu Chancen, Risiken und Prognosen für die Zukunft der Arbeitswelt.

Überrascht haben mich vor allem einige Gespräche mit Entwicklern, bei denen der Unterschied zwischen privatem und beruflichem Nutzen intelligenter Tools besonders groß war. Häufig waren diejenigen, die beruflich direkt an der Entwicklung neuer Technologien beteiligt waren, im Privaten sehr vorsichtig und eher zurückhaltend, beispielsweise in Bezug auf sprachgesteuerte Assistenzsysteme.

Becks: Dir liegt ja viel an einer Versachlichung der emotionalen Debatte um den Einfluss von KI auf den Arbeitsmarkt. Wie hast du die vielen Strömungen, Meinungen und Teilaspekte in der öffentlichen Diskussion und den Medien denn systematisiert?

Baldas: Die Angst vieler ist, dass der zunehmende Einsatz von KI und Automatisierung dazu führt, dass längerfristig die Arbeitsplätze für Menschen knapp werden. Zudem versuchen die Medien mit Titeln wie „Künstliche Intelligenz: Welche Jobs sind noch sicher?“ (Wirtschaftswoche, 2014) möglichst viele Leser oder Klicks zu generieren und vermischen dabei verschiedene Einflussfaktoren zu einer einzigen, stark vereinfachten Aussage. Um die tatsächlichen Einflüsse auf den Arbeitsmarkt zu identifizieren und zu veranschaulichen, habe ich ein Modell entwickelt, in dem Erkenntnisse aktueller Studien zum Einfluss von KI und Automatisierung auf den Arbeitsmarkt nach Regeln der Systemdynamik abgebildet werden. Dieser Ansatz kann hier dabei helfen, verschiedene Faktoren und ihren Einfluss auf den Arbeitsmarkt gesondert zu betrachten und basierend darauf Prognosen für den Arbeitsmarkt zu treffen sowie Handlungsfelder zu identifizieren und anzugehen.

Becks: Was können wir in den Unternehmen tun, um die Diskussion der Möglichkeiten und Auswirkungen von KI sachlich ausgewogen voranzutreiben?

Baldas: Meine Ergebnisse zeigen, dass unsere beruflichen Positionen Einfluss darauf haben, wie differenziert wir das Thema KI bewerten können. Diese Voreingenommenheit anzuerkennen, ist ein erster und wichtiger Schritt hin zu einer sachlichen Debatte. In einem nächsten Schritt muss innerhalb des Unternehmens eine Diskussion ermöglicht und gefördert werden, die verschiedene Akteure an einen Tisch bringt. Hier geht es weniger darum, dass die einen den anderen die Welt erklären, sondern vielmehr um einen beidseitigen Informationsfluss. Denn auf der einen Seite sollten Mitarbeiter, die nicht direkt in die Entwicklung von KI involviert sind, permanent ihr Wissen um KI vertiefen, um die Weitergabe von falschen Informationen an Endkunden zu verhindern. Auf der anderen Seite können Vertriebsmitarbeiter und Berater durch ihren direkten Endkundenkontakt Entwicklern wertvolle Auskunft darüber geben, wie sich Erwartungen und Ängste in Bezug auf KI im Markt entwickeln. So können sowohl überhöhte Erwartungen als auch Horrorszenarien direkt einem internen Reality-Check unterzogen werden. Dies ermöglicht im Endeffekt nicht nur eine sachlich ausgewogene Diskussion, sondern auch die Entwicklung von direkt am Kunden orientierten Lösungen.

Becks: Mirjam, vielen Dank für das Gespräch!

 

Die Masterarbeit von Mirjam Baldas ist hier per Download abrufbar.

Künstliche Intelligenz ist mehr als nur Technologie. Was macht sie mit uns als Menschen? Wie beeinflusst sie unsere Gesellschaft? Wie verändern sich Geschäftsmodelle?
Und: Welche Auswirkungen hat sie auf unsere Arbeitswelt? Auf unserem diesjährigen SAS Forum in Bonn hatte ich die Gelegenheit, diese Fragen gemeinsam mit Julian Nida-Rümelin, Philosophie-Professor und Buchautor, und Christian Bauckhage, Informatik-Professor und Experte für künstliche Intelligenz, zu besprechen.

Das Video können Sie hier abrufen.
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Andreas Becks

Head of Customer Advisory Insurance DACH

Andreas Becks leads a team of insurance experts, data governance professionals and data scientists advising insurance clients on how to use analytics to generate value and drive transformation in a changing market. His main focus is on data-based innovation and industrialization of analytics. His expertise in artificial intelligence, and deep knowledge of business intelligence and analytics mean that he is well-placed to help insurers to reimagine their business models and drive cultural change.

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