Liebe und Mathematik: Auf den ersten Blick gibt es wohl keine zwei Welten, die weiter voneinander entfernt sind. Hannah Fry hat auf der Analytics Experience in Amsterdam das Gegenteil bewiesen: Mathematik kann das Geheimnis einer glücklichen Partnerschaft aufdecken und sogar eine Scheidung vorhersagen. Im Gespräch geht die Dozentin für „Mathematics of Cities“ am Centre for Advanced Spatial Analysis des University College London (UCL) darauf ein, in welcher Beziehung Menschen zu neuen Technologien wie künstlicher Intelligenz (KI) stehen – und wie diese die Gesellschaft als Ganzes beeinflussen können.
Die Hauptbotschaft, die Fry an die rund 1.400 Daten- und Analytics-Spezialisten schickte, die an der Konferenz teilgenommen haben: Lässt man sich von den Daten zu Erkenntnissen führen, weiß man vorher nicht, was man entdecken wird. „Es ist einfacher denn je, Muster zu erkennen und die Beweggründe menschlichen Verhaltens zu verstehen“, sagt Fry. „Neue Technologien wie Machine Learning erleichtern beziehungsweise ermöglichen Prognosen. Tatsächlich erlebe ich ständig, dass Leute versuchen, menschliches Verhalten in unterschiedlichsten Kontexten vorherzusagen. Beispielsweise wird in den USA bereits Predictive Analytics eingesetzt, um zu entscheiden, ob ein Richter eine Kaution für einen Verdächtigen festlegt. Ob das eine gute Sache ist, darüber lässt sich streiten.“
Ein Gespräch mit Hannah Fry, Mathematikerin und Dozentin des University College London Click To TweetMensch versus Algorithmus
Fry meint, dass – trotz der scheinbar endlosen Möglichkeiten, die die Technologie bietet – einige Fragen weiterhin von Menschen beurteilt und entschieden werden sollten. „Die Diskussion, die die Gesellschaft führen muss, ist: Bis zu welchem Grad lassen wir Algorithmen bestimmen, was wir tun? Wollen wir unsere Zukunft den Algorithmen überlassen? Das ist eine sehr wichtige Frage, denn wir werden niemals in der Lage sein, alles 100 Prozent korrekt vorherzusagen.“
Und es ist eine Frage, die sich nicht einfach mit „ja“ oder „nein“ beantworten lässt. Es muss auf Fallbasis entschieden werden und abhängig davon, welchen Einfluss die Entscheidung auf den Menschen hat. „Ein einfaches Beispiel: In China nutzen sie Gesichtserkennung, um Toilettenpapierverschwendung zu vermeiden. Der Spender gibt ca. 1,5 Meter an jede Person aus. Erkennt er, dass dieselbe Person innerhalb der nächsten neun Minuten noch einmal kommt, wird der Spender gesperrt. In diesem Fall ist es kein Drama, wenn das System mal ausfällt. Anders sieht es da im Gesundheitswesen aus: Die falsche Entscheidung kann hier über Leben und Tod entscheiden. Kann der Algorithmus ganz sicher vorhersagen, ob sich der Tumor zu Krebs entwickeln wird? Und was machen Sie, wenn der Algorithmus falsch lag und Sie dem Patienten eine falsche Behandlung empfohlen haben? Das sind Probleme, die man sorgfältig abwägen muss.“
KI und Dating
Hannah Fry ist zudem Autorin des Buchs „The Mathematics of Love“ und geht auf den Einfluss von KI auf die Partnersuche/-wahl ein. „Menschen versuchen seit Ewigkeiten, herauszufinden, warum sie sich mögen. Und tatsächlich gibt es keine wirklichen Daten oder Technik, um dies vorherzusagen. Aber es wird einfacher, wenn Menschen sich begegnen, denn dann kann man analysieren, wie sie aufeinander reagieren. Ein Data Scientist in den USA hat Machine Learning in Speed-Dating-Sessions per Skype eingesetzt. Anhand einer Analyse des Gesichtsausdrucks hat er die Kompatibilität bestimmt. Dies ist ein spannender Anfang. Ich gehe aber davon aus, dass auch Online-Dating immer cleverer wird.
Wird KI meinen Job übernehmen?
KI bringt allerdings nicht nur positive Gefühle, es erzeugt auch Ängste. Menschen befürchten, dass schlaue Maschinen und Roboter ihre Aufgaben übernehmen. Fry meint: „Sicherlich wird es einige Berufszweige geben, die in zehn Jahren nicht mehr existieren werden. Aber der menschliche Faktor wird unterschätzt. Sozialarbeiter können niemals komplett ersetzt werden und tiefgründiger Journalismus ist auch ein gutes Beispiel. Das durch KI erzielte Ergebnis ist abhängig von bereits vorhandenen Informationen und Daten. Die Technologie kann also keine originäre Hintergrundgeschichte beispielsweise über den Brexit oder die Wahlen generieren. Ich war in einem Musical, das mit KI-Technologie geschrieben wurde – und hatte das Gefühl, dass ich das Stück schon einmal gesehen hatte und die Geschichte schon kannte. Das kommt daher, dass die Erfolgsfaktoren bereits existierender Musicals die Grundlage für dieses Werk bilden.“
Fry ist überzeugt, dass Menschen dazu tendieren, den Technikeinfluss kurzfristig zu über- und auf lange Sicht zu unterschätzen. „Fahrerlose Autos sind ein sehr gutes Beispiel. Sie können nur in einer geschlossenen Umgebung funktionieren, sonst sind sie mit Autos konfrontiert, die immer noch von Menschen gelenkt werden. Und wir alle wissen, menschliche Fahrer sind unberechenbar. Die Technologie kann damit noch nicht umgehen. Oder Sie müssen sicherstellen, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt jeder ein fahrerloses Auto hat. Es gibt keine Übergangsphase, bevor wir diese Innovation in großem Maßstab nutzen können. Man muss also erstmal über eine Lösung für diese Hürde nachdenken.“
Das neue Buch von Hannah Fry, „Hello world“, erscheint 2018. Sie geht darin darauf ein, wie Algorithmen jeden Aspekt des Lebens durchdringen. Zudem widmet sie sich der Frage, wo die Grenze gezogen werden sollte zwischen menschlichem Chaos und der komfortablen Vorhersagbarkeit einer datengetriebenen Welt.