Viktor Mayer-Schönberger ist Oxford-Professor, Berater internationaler Organisationen sowie einer der Keynote-Speaker der re:publica 2014. In seinem Bestseller „Big Data: Eine Revolution, die unser Leben verändern wird" wirft er ein kritisches Licht auf Big Data Analytics – zeichnet aber auch positive Szenarien auf. Wir haben ihn gefragt zu seinen Forderungen an die Politik, zu seiner Einschätzung der Nutzung durch Unternehmen und zum Know-how, das jeder Einzelne seiner Meinung nach mitbringen sollte. Und nach seiner Botschaft für die digitale Szene in Deutschland, wenn er im Mai die Bühne im STATION-Berlin betritt.
Sie haben ja den Schwerpunkt, die gesellschaftlichen Auswirkungen von Big Data zu untersuchen: Worüber forschen Sie aktuell, was interessiert Sie gerade?
Forschungsseitig habe ich ein großes Interesse an Geschäftsmodellen und will verstehen, wo ökonomischer Wert entsteht durch Big Data. Und ich bin mit einer großen Gruppe von Kollegen und Kolleginnen aus Industrie sowie Vertretern von Regierungen und Akademie dabei zu klären, wie Datenschutz aussehen kann im Big-Data-Zeitalter.
Das geht davon aus, dass man den gesamten Prozess nicht mehr umkehren kann: Daten sind per se nicht schlecht oder gut – vor allem sind sie zunächst einfach mal da. Wenn man diesen Fakt akzeptiert, was sind Ihre Forderungen an die Politik?
Im Moment fokussieren wir bereits zum Zeitpunkt der Sammlung der Daten darauf, die Betroffenen zu informieren und deren Zustimmung einzufordern. Das ist zunehmend schwieriger bei Big Data – weil zum Zeitpunkt der Sammlung der Zweck oft überhaupt nicht klar ist. Was wiederum dazu führt, dass schwammige Zustimmungserklärungen formuliert werden und dieser gesamte Prozess der Zustimmung zu einem Formalismus verkommt. Dann haben Sie 42seitige Datenschutzbestimmungen, die Nutzer per „OK“ akzeptieren. Aber das schafft noch kein Vertrauen. Und das erlaubt auch nicht eine verantwortungsvolle Nutzung von Daten, die so zum Zeitpunkt der Erhebung vielleicht nicht vorgesehen war. Das System wird also beiden Seiten nicht gerecht – weder Anwendern noch Datenverarbeitern.
Also was brauchen wir dann Ihrer Meinung nach?
Wir müssen uns wegbewegen von den starren Formalismen des 20. Jahrhunderts, zu einem System, das viel stärker auf die verantwortungsvolle Verwendung und Wiederverwendung von Daten abzielt. Um mal ein Beispiel für so eine Wiederverwendung zu geben: Yahoo, Microsoft und Google haben aufgrund von Internet-Suchanfragen negative Wechselwirkung von Medikamente erkannt, die noch unbekannt waren. Das ist eine Erkenntnis, die auch für die Gesellschaft große Bedeutung hat.
Ist das eine regulatorische oder eine technische Herausforderung?
Eine regulatorische. Der Gesetzgeber muss in Zukunft unterscheiden zwischen Weiterverwendungen von Daten, die ohne weiteres erlaubt sind, anderen die zusätzliche Schutzmaßnahmen erfordern, und schließlich Anwendungen, die gar nicht erlaubt sind, weil beispielsweise Leben oder Freiheit eines Menschen davon bedroht sind.
Was sollten Unternehmen dabei wissen und berücksichtigen?
Unternehmen wären in diesem System aufgefordert, im Vorfeld eine Risikoabschätzung für die Betroffen zu machen und Maßnahmen zu implementieren, diese Risiken gering zu halten. Sie wären dann am Ende aber auch dafür verantwortlich, dass das eingehalten wird.
Wir müssen den Datenschutz also auf die Verwendung fokussieren. Viele große Internet-Unternehmen können sich das gut vorstellen, weil sie sehen, dass ohne ein funktionierendes Datenschutzsystem die Betroffen das Vertrauen verlieren und sie damit ein wirtschaftliches Problem bekommen.
Persönlich glaube ich, dass es hier noch einen großen Unterschied zwischen Wirklichkeit und Vorstellung gibt. Eine deutsche Universität hat dazu eine Umfrage gemacht: Rund 20% der Unternehmen nutzen unternehmensweit die Daten, die ihnen zur Verfügung stehen. Überrascht Sie das jetzt?
In vielerlei Hinsicht bleiben hier enorme Möglichkeiten nicht ausgeschöpft. Denken Sie nur an Gesundheitsdaten: Die Versicherungen wissen viel über uns – aber die Forschung, die viel bessere Diagnosen und Behandlungsmöglichkeiten schaffen könnten, hat nur wenige Daten zur Verfügung. Das ist doch absurd.
Wie finden Unternehmen Anwendungsszenarien für Big Data?
Wir schreiben in unserem Buch: Das Kernstück einer erfolgreichen Big-Data-Strategie liegt im Vorstellungsvermögen, welchen wirtschaftlichen Mehrwert man aus den Daten schöpfen kann. Dieses Mindset kann man fördern, indem man in Unternehmen kleine Innovationsgruppen schafft und Big-Data-Designer beschäftigt, also ‚Designverrückte‘, die entsprechende Ideen haben.
Haben Sie mal bitte ein Beispiel dafür.
Beispielsweise die Lufthansa: Irgendwann ist dort aufgefallen, dass man in den Flugzeugen Unmengen an Wetterdaten sammelt – und wegwirft, nach dem sie vom Autopiloten verarbeitet wurden. Seit etwa acht Jahren speichert die Lufthansa die Daten jetzt und gibt sie nach der Landung an den Deutschen Wetterdienst weiter - und das hat die Wetterprognosen um 7% verbessert. Wovon die Lufthansa wieder profitiert, weil ihr Geschäftsmodell ja auch von guten Wettervorhersagen abhängt.
Wir haben über den Umgang von Staat und Unternehmen mit Big Data gesprochen: Was sollten die Nutzer und Individuen wissen?
Ich denke, dass ist eine Herausforderung für jeden einzelnen, weil wir davon ausgehen, dass sich alle Wirtschaftssektoren verändern werden und wir uns alle auf diese neue Art, die Wirklichkeit zu verstehen einstellen müssen.
In der Vergangenheit haben wir uns oft auf selbsternannte Experten verlassen, in der Zukunft spielen empirische Daten eine sehr viel gewichtigere Rolle. Ich gehe davon aus, dass mein vierjähriger Sohn als Erwachsener nicht ungefragt jede Diagnose eines Arztes hinnehmen wird, sondern immer nach der empirischen Grundlage fragt. Das ist die Folge einer anderen Herangehensweise im Verstehen der Welt und der Rolle, die man selbst dabei einnehmen wird. Dabei glaube ich nicht, dass wir zu Datenverwaltern werden, um diese dann verkaufen oder lizensieren – das ist für die meisten viel zu komplex. Aber mehr Know-how über Daten führt schon dazu, dass uns weder Politik noch Unternehmen ein X für ein U vormachen können.
Bei der re:publica kommen diese Schnittmengen zusammen, hier treffen sich Politik, Unternehmen und Individuen. Dazu zeichne ich mal ein bisschen Schwarz-Weiß: Da gibt es das eine Lager, das sagt „Datenschutz ist wichtiger als Personenschutz“ und auf der anderen Seite die Befürworter von Open Data, Besucherstromanalyse und Quantified-Self-Bewegung. Was möchten Sie beiden Lagern mitgeben? Gibt es da etwas, was der eine vom anderen lernen kann oder sogar muss?
Ich mache mir Sorgen, dass die gesellschaftliche Diskussion über Grenzen und Möglichkeiten von Big Data in eine falsche Richtung läuft. Zum einen, darüber haben wir ja gerade gesprochen, sind die bestehenden Mechanismen des Datenschutzes für Big Data ungeeignet. Zum zweiten denke ich, dass Datenschutz – also die Abwehr der Überwachung unserer Privatsphäre – gar nicht die zentrale Herausforderung von Big Data ist.
Um diese zu verstehen, muss man wissen, dass mit Big Data vor allem auch Voraussagen über menschliches Verhalten gemacht werden. Wenn an solche Voraussagen auch Entscheidungen über das Leben der analysierten Personen geknüpft werden, schränkt das die Handlungsfähigkeit der Menschen ein. Wir müssen über die Grenzen der Entscheidungen, die solchen Vorhersagen entstammen, sprechen: Es muss etwa gesetzlich sichergestellt werden, dass ich mich auch in Zukunft gegen die Maschine entscheiden kann – also etwa bewusst irrational sein darf. Für diese Gefahr und die Lösung, die wir hier wieder regulatorisch abbilden können, möchte ich die Teilnehmer der re:publica sensibilisieren.
Das Motto der re:publica ist „Into the Wild“ … wie „wild“ wird es mit Big Data noch werden?
An gerade Tagen bin ich Optimist, an ungeraden Tagen nicht. Meine größte Sorge ist, dass die Gefahr von Big Data nicht rechtzeitig erkannt und damit das gesellschaftliche Gespräche darüber nicht frühzeitig genug geführt wird. Und dann viele der Möglichkeiten unbeachtet bleiben. Am Ende wird dann Big Data nur dazu verwendet, bessere Werbebotschaften zu gestalten – und damit zu billig verkauft.
Letztendlich ist Big Data ja auch eine Frage der Technik: Wen sehen Sie eher als die treibende Kraft? Die Open Source Technologien rund um Hadoop?
Die spielen sicher eine ganz wesentliche Rolle. In dieser Welt aus vielen, unstrukturierten und unterschiedlichen Datenquellen müssen wir weg vom reinen, cleanen und relationalen Datenmodell der 80er und 90er Jahre. Wir gehen in eine Welt hinein, in der unstrukturierte Datenquellen immer wichtig sein werden. Das bedeutet nicht automatisch Hadoop oder Map/Reduce – das kann auch hybride Technologien bedeuten. Aber: Wir brauchen bessere Werkzeuge der Datenspeicherung und wir brauchen bessere statische Analysetools. Dass muss nicht nur Open Source sein - wir werden ein riesiges neues Ökosystem an besseren Werkzeugen sehen.
Das ist auch meine Beobachtung: Im AK Big Data des Bitkom waren in Summe schon über 120 Unternehmen schon vertreten ...
Ja, und trotzdem mögen manche nicht genau wissen, warum sie dort sind. Sie haben vielleicht nur von Big Data gehört und finde das sexy. Aber Big Data ist nicht für jeden jetzt schon notwendig, aber für manche eben sehr wertvoll.
Das ist ein schönes Schlusswort. Vielen Dank!
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9 Comments
Sehr gutes Interview, tolle Informationen! Das Lufthansa-Beispiel finde ich bemerkenswert; weil es a) so einfach und b) so nachvollziehbar ist.
Ergänzend möchte ich hinzufügen, dass Big Data vor allem auch folgendes bedeutet: die Technologie ermöglicht es, Daten zu verarbeiten, OHNE sie komprimieren, sortieren, konsolidieren, bereinigen, neu strukturieren oder sonst irgendwie verkleinern oder besser verarbeitbar machen zu müssen. Dadurch fallen eine Unmenge an Prozessen und Aufwänden weg.
Was ich mich dabei immer frage ist - arbeitet nicht eine Vielzahl Analysten heute mit BIG Data und sind stetig auf der Suche nach neuen internen und externen Informationen zur Verbesserung von Prognosequalitäten? Also was ist am Lufthansa - Beispiel dran, hier werden Daten von einem Unternehmen an ein anderes verkauft, das diese gut verwenden kann. Die zweite Frage wäre - warum muss ich dazu immer riesige Datenmengen schaufeln - weil ich es kann? Bis dato konnte man doch auch prima Modelle auf Basis von Stichproben bauen - oder?
Vielleicht noch ganz interessant zu wissen: Gestern ist in der FAZ ein Artikel erschienen über Pharmaunternehmen und den Umgang mit Forschungsdaten. Passt zum Interview, Professor Mayer-Schönberger geht ja direkt auf diesen Punkt ein.
Ich finde es gut und wichtig, dass kommuniziert wird, welche Vorteile Big Data für jeden persönlich bringt. Da kann man nicht genug konkrete Beispiele aufführen!
In der öffentlichen 'Big Data' Diskussion scheint es mir primär um das Thema Datenschutz zu gehen. Ich würde zuerst über die Möglichkeiten und Vorteile sprechen und dann darüber, wie der Datenschutz gewährleistet werden kann.
Hätten Sie noch ein paar weitere Beispiele? Es gibt zwar schon ein erstes Themendossier, aber die Beispiele sind schon ein Jahr alt und ich will die demnächst mal wieder aktualisieren.
Es ist wichtig das sinnvoll mit den Big Daten umgegangen wird und mit nötigen Respekt der einzelnen Personen. Doch bin ich der Meinung das der Endanwender nur davon profitieren kann denn er wird letztendlich nicht mehr mit uninteressanten Dingen bombardiert sondern nur noch mit relevanten Informationen. Und das ist für jeden ein Mehr-Wert
Danke für den Kommentar. Ich halte es allerdings für zu kurz gesprungen, Big Data Analytics anhand von besserer Kundenansprache zu erklären. Das verdeckt das wahre Potenzial einer sinnvollen Nutzung der Datenberge. Alleine die Kombination von Gesundheitsdaten verschiedenster Quellen (Verschreibungen, Pharmaforschung, Krankenkassen) könnte konkrete Verbesserungen für zigtausende Patienten bedeuten: welches Medikament hat unter welchen Bedingungen welche Auswirkungen gehabt? dafür genügen m.E. keine Stichproben sondern eine möglichst weltweit einheitlich erhobene Datensammlung, in der Hoffnung ein möglichst vergleichbares Patientenschicksal zu finden und von der Lernkurve einer früheren Therapie zu profitieren.
Sehr schönes Interview, was meinen Eindruck von Herrn Mayer-Schönberger nochmals unterstreicht. Ich persönlich bin von seinem offensichtlichen Zwiespalt zwischen Begeisterung und Furcht vor der neuen Informationsvielfalt fasziniert. Auf der einen Seite die nahezu kindliche, euphorische Freude am Fortschritt mit all den Möglichkeiten, auf der anderen Seite aber auch das Bewusstsein für die damit verbundenen Risiken. Ich freue mich auf viele weitere Gedanken von ihm und werde mich sicherlich – nicht zuletzt aufgrund seines Vortrags auf der re:publica – weiter mit diesem Thema beschäftigen.
Ein sehr spannendes Interview mit Professor Mayer-Schönberger, das insbesondere die Schwarz-Weiß-Malerei von vielen Personen bezüglich Big Data klar herausarbeitet. Was in der Tat fehlt ist eine größere gesellschaftliche Diskussion, anstatt eine pauschale Befürwortung bzw. Ablehnung von Big Data und allen mit diesem Thema zusammenhängenden Aspekten.
Ich persönlich denke, vielen ist überhaupt nicht klar, was mit einem verantwortungsbewussten Umgang mit Massendaten alles erreicht werden kann - ein paar Beispiele spricht Herr Mayer-Schönberger selbst an. An der häufigen Fokussierung von "Datenschutz" im Kontext von Big Data tragen allerdings genau die Unternehmen eine Mitschuld, die Big Data eben nur als Möglichkeit zur verbesserten Kundenadressierung verstehen. Denn genau mit dieser Art der Nutzung von Big Data kommen die meisten Menschen am häufigsten in Kontakt.
An dieser Stelle wäre ein höheres Maß an (medialer) Aufklärung sicherlich hilfreich.