Wo stehen Unternehmen beim digitalen Kundendialog? Welche Customer Experience (CX) erleben die Kunden im Zeitalter von Digitalisierung und KI? Vier CX-Expert:innen haben mit uns ihre Erfahrungen geteilt: Frank Zander (Leiter Business Intelligence, Bauer Vertriebs KG), Sonja Homberger (Marketing Development Managerin, PostFinance AG), Stephan Götze (MarTech & Performance Marketing Consultant, MarTechHero / Ex Scout24) und Anne Hoepfner (Senior Business Solutions Expert, SAS).
Längst verschoben hat sich die Auffassung von Marketing in Unternehmen: Nicht mehr absatzgetrieben, sondern bedürfnisorientiert von den Endkunden her wird gedacht. Im Visier steht der unmittelbare Dialog mit den Kunden, also das, was wir klassischerweise die Tante Emma-Methode nennen. Für dieses Ziel kommt Software zum Einsatz, sogenannte Marketing-Automatisierungs-Tools. Mehr als 11.000 solcher Tools tummeln sich am Markt: Multi/Omni-Channel-Marketing boomt.
Doch diese Masse kann auch überfordern. Gerade mittelgroße Unternehmen fühlen sich gezwungen, ihre Kundenansprache mit solchen Lösungen zu verbessern, um Marketing messbar und effektiver zu machen. Und um nicht zuletzt in Zahlen ausdrücken zu können, welchen Beitrag Marketingaktivitäten zum Erfolg des Unternehmens leisten.
„Das ist eine durchaus erfreuliche Tendenz, aber nur mit einem Tool ist die Sache nicht getan“, sagt Anne Hoepfner von SAS. Für echte Kompetenz braucht man mehr. Wenn man die Dashboards nicht interpretieren kann, ist keinem wirklich gedient. „Die Basics, um solche Tools gewinnbringend nutzen zu können, sind oft nicht erledigt“, sagt Unternehmensberater Stephan Götze von MarTechHero.
Zu den Basics gehört unter anderem, mit einem Bauchgefühl Schluss zu machen. Firmen müssen ehrlich zu sich selbst sein bezüglich ihres wirklichen Wissens über die Customer Journey. Wie die Kunden ticken und was sie wollen, ist keine Glaubensfrage mehr. „Oft ist dieses Wissen nicht mit Daten untermauert. Was möglich wäre“, so Anne Hoepfner. New Marketing hängt in einer Welt von Automatisierungstools vor allem von (den) Daten ab: Datenmanagement, Datenhygiene, -konsistenz und -aggregation sowie -kollaboration.
Übertreibt sie am Ende, weil sie solche CX-Lösungen verkauft? „Keineswegs“, findet Sonja Homberger von PostFinance. Sie und ihr Team modernisieren seit zwei Jahren das Marketing beim Finanzdienstleister, fertig seien sie noch lange nicht. Es bringe nämlich nichts, einfach nur eine neue Technologie zu installieren. Das Drumherum müsse stimmen. „Wir haben erste Erfahrungen gesammelt und sehen, dass Technologie funktioniert und sogar Spaß macht. Aber das geht halt einfach nicht von heute auf morgen. Das muss auch der Unternehmensführung bewusst sein und Teil ihrer Strategie werden. Auch das ist eine große Herausforderung.“
„Ja, die Fülle der Herausforderungen ist groß“, sagt Stephan Götze. „Wenn wir keine Zentralisierung im Marketing und kein datengetrieben Mindset beim Top-Management hinbekommen, wird es immer schwierig bleiben. Nicht funktionierende Prozesse nerven alle, da passieren Fehler und Budget wird verbrannt.“
Aus der Praxis
Die Bauer Verlagsgruppe ist mitten in einem solchen Wandel. „Die digitalen Kanäle sind für uns tatsächlich am effektivsten. Dennoch müssen wir unbedingt einen gewissen Abnutzungseffekt vermeiden. „Wir achten darauf, dass die Kunden nie das Gefühl haben, mit einer Maschine zu kommunizieren - Telefon und Brief werden situativ eingesetzt“, sagt Frank Zander von Bauer Vertriebs KG.
Wir schlussfolgern: Frank Zander kennt die Phasen der Digitalisierung bei der Kundenansprache genau. Er sagt, dass die Omni-Channel-Ansprache noch nicht so weit sei in seinem Hause, wie man vermuten könnte. Daten-Zentralisierung stehe derzeit an. „Wir brechen unsere guten alten Silos auf. Man muss sich das so vorstellen: Viele einzelne Web-Sites wurden hochgezogen und keiner hat damals daran gedacht, auch die Daten miteinander zu verknüpfen. Schön ist, dass sich sowohl auf Geschäftsführungs- und Topmanagement-Ebene ein datengetriebenes Denken in Sachen Kundenansprache bei uns auch international gerade zum Guten hin verändert.“
Auf einen Blick: Was kann Marketing-Automation für die Customer Experience heute schon leisten?
Stephan, wie kann eine zentralisierte Automatisierung Kunden individuell bedienen? Ist das nicht ein Widerspruch? „Mit sauberen Daten kann ich viel machen, wie beispielsweise irrelevante Nutzer aus meiner Ansprache rausnehmen. Durch eine analytische Vorhersage weiß ich, dass zum Beispiel 45 Prozent gar nicht auf eine Kampagne reagieren werden oder dass einige sogar von alleine wieder kommen; die muss ich gar nicht adressieren. Das spart Marketing-Budget.“
Frank, wie nutzt ihr solche Vorhersagen aus einer Automatisierung? „Da gebe ich Stephan recht. Wir gehen sogar noch weiter: Wir können herausfinden, welcher Mitarbeiter für welchen Kundentypus am besten geeignet ist. Wer passt zu wem, um den Lead weiterzutreiben. Auf dieser Basis weisen wir Mitarbeitern Kunden zu. Das können wir recht genau herausfinden. Wir wissen heute, wie lange Kunden ihre Artikel lesen oder wie lange sie sich mit einem bestimmten Thema beschäftigen. Daraus kann man ganz visionär auch andere Marketing-Tätigkeiten ableiten. Geht es beispielsweise um das Thema Auto, könnte man auch mit Autohäusern zusammenarbeiten oder zusätzliche Sachen zum Auto anbieten.“
Anne, wird Marketing mit neuen Technologien strategisch relevanter, weil messbarer? „Durchaus. Wir können die Budgets sehr genau einzelnen Kampagnen zuordnen und was diese dem Unternehmenserfolg gebracht haben. Wenn ich bestimmte Kunden für eine Customer Journey ausqualifiziere, ich diese aber für eine andere qualifizieren kann, ist das sehr effizient. Die Unternehmensstrategie kann auf die Marketing-Ziele heruntergebrochen werden und wird damit messbar.“
Sonja, was nützt Automatisierung eurem Vertrieb? „Wir haben 2,5 Millionen Kunden. Wir setzen stark auf Multi-/Omnichannel Experience. Der physische Vertrieb ist ein ganz wichtiger Kanal. Über digitale Kanäle qualifizieren wir Leads vor. Danach weiß unser Vertrieb, dass eine physische Ansprache zu hoher Wahrscheinlichkeit erfolgreich sein wird. Natürlich: Mind-Change bei den Beratern war nötig. Konnten sie sich früher aussuchen, wen sie adressieren, bekommen sie nun sehr gute vorqualifizierte Kontakte zugespielt.“