Alles AGILE oder was?

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Vor gut zwei Jahren hat die für den DACH-Raum (Deutschland, Österreich, Schweiz) zuständige Niederlassung des US-amerikanischen Software-Herstellers SAS Institute begonnen agile Methoden im Software-Vertrieb einzusetzen.

Die Hauptmotivation für den damaligen Start der Initiative lag in der Hebung ungenutzter Potentiale im Zusammenhang mit der Generierung von Neugeschäft (auch als Demand- bzw. Pipeline-Generation bezeichnet). Durch den Einsatz agiler Methoden in Anlehnung an das Scrum Framework (vgl. Scrum Guide) sollten und sollen weiterhin die folgenden Hauptziele adressiert werden:

  • Erhöhung von Geschwindigkeit und Fokus bei Kundeninteraktionen
  • Schaffen von Rahmenbedingungen zur Agilität
  • Bildung eigenverantwortlicher Experten-Teams
  • Schaffen der Rahmenbedingungen einer lateralen Führung

Für genauere Details und Hintergründe zur Motivation des Einsatzes agiler Methoden, der gewählten Strukturierung des Vorgehens sowie hierzu genutzter Tools sei auf die 3-teilige Blog-Serie "Einsatz agiler Methoden im Software-Vertrieb" vom Dezember 2021 verwiesen, hier die entsprechenden Links:

2 Jahre Einsatz agiler Methoden im Vertrieb

Nach nunmehr gut zwei Jahren der Anwendung agiler Methoden im Software-Vertrieb soll in diesem Beitrag nun beleuchtet werden, inwiefern ein Zwischenfazit gezogen werden kann und welche Erkenntnisse als "Lessons Learned" erwähnenswert erscheinen.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Hinweis, dass die Initiative keinesfalls abgeschlossen ist, sondern eher von einer erfolgreichen Etablierung der Nutzung agiler Methoden in der abteilungsübergreifenden Zusammenarbeit gesprochen werden kann.

Bei diesem Zwischenfazit eine einfache Kategorisierung in "erfolgreich" oder "nicht erfolgreich" zu wählen, greift zu kurz. Vielmehr soll eine differenzierte Betrachtung des bislang Erreichten vorgenommen werden, bei der es auch erlaubt sein muss, die Sinnhaftigkeit des Einsatzes agiler Methoden und Herangehensweisen zu hinterfragen. Nur eine (selbst-)kritische Betrachtung und Bewertung eröffnet die Möglichkeit, Herangehensweisen (inkl. genutzter Tools) oder Prozesse zu justieren und Zielformulierungen zu hinterfragen und ggf. anzupassen.

Die in der Überschrift provokant gestellte Frage "Alles AGILE oder was?" ist natürlich nicht ernst gemeint. So war es von Anfang an kein erklärtes Ziel, agile Methoden flächendeckend im Vertriebsbereich oder sogar quer durch das Unternehmen einzuführen. (zur Zielformulierung sei auf den ersten Abschnitt dieses Blog-Beitrags verwiesen)

Aber auch ohne das Ziel eines flächendeckenden Einsatzes ist doch bemerkenswert, wie hoch das Interesse an der agilen Arbeitsweise und in diesem Kontext der Bildung agiler Teams (Squads) von Beginn dieser Initiative an im Unternehmen ist. So wurde und wird auf Wunsch von Vertriebsteams oder auch dem Sales-Management bei einer großen Anzahl vertrieblicher Aktivitäten die neue agile Herangehensweise quasi „ausprobiert“, woraus der Aufsatz einer Vielzahl von Squads resultierte. Diese große Anzahl an Squads erlaubt es im vorliegenden Fall eine Reihe von Feststellungen abzuleiten. Daher sollen an dieser Stelle zuerst die zentralen "Lessons Learned" aufgeführt werden, bevor das Zwischenfazits folgt:

Lessons Learned

Aus der Vielzahl an Squads lassen sich einige Feststellungen – positiver Art wie auch Herausforderungen – ableiten, die Themen- bzw. Squad-unabhängig auftraten und daher offenbar allgemeine Gültigkeit besitzen:

1- Ressourcen-Lage beim Aufsatz agiler Teams (Squads) im Blick behaltenà Zeit für das Tagesgeschäft bei allen Beteiligten vorsehen

  • Bei einer (zu) großen Zahl von "agilen Projekten" empfiehlt sich einen zeitliche Entzerrung durch Fokussierung auf relevante und/oder erfolgversprechende Themen. Auch gerade zu Beginn kann dies durchaus die Erzielung sichtbarer Erfolge durch Fokussierung auf sog. "Low-hanging Fruits" beinhalten.
  • Sollte kapazitätsbedingt eine Fokussierung auf einzelne Squads / Themen notwendig werden, empfiehlt sich die offenen Kommunikation mit den relevanten Project Sponsoren, um einen realistischen Zeitslot bzw. Starttermin zu vereinbaren. Dafür können aus dem agilen Umfeld bekannte Priorisierungsmechanismen herangezogen werden.

2- Nicht jedes Vorhaben profitiert von der Anwendung agiler Methoden → Die Anwendung agiler Vorgehensweisen allein ist kein Erfolgsgarant

  • Nicht jedes Thema, jede Initiative oder jedes Vorhaben ist für die Anwendung agiler Methoden geeignet bzw. profitiert davon. Als Beispiel sollen hier vertriebliche "Standard-Aufgaben" unter Nutzung weitestgehend etablierter Prozesse genannt werden, wie bspw. die alltägliche Account-Arbeit im Sinne der vertrieblichen Betreuung einzelner Kunden. Besteht die Vermutung, dass der Squad eher Aktivitäten des Tagesgeschäfts zum Gegenstand hat, ist es sinnvoll zu diskutieren, warum ein agiles Vorgehen gewünscht ist, welcher Mehrwert sich davon erhofft wird und ob die Anwendung agiler Methoden hier wirklich einen Mehrwert verspricht.

3- Cross-Divisional Collaboration wird gestärkt à Die Anwendung agiler Methoden wirkt sich positiv auf die unternehmensinterne Zusammenarbeit aus

  • Auch wenn ursprünglich als Initiative des Vertriebs gedacht, zeigt sich von Anfang an, dass die bedarfsorientierte Einbindung weiterer Ressourcen (Fachexperten wie auch Führungskräfte) über Abteilungsgrenzen hinweg sehr gut funktioniert. Dabei ist auch die im überwiegenden Maße vorliegende Bereitschaft zur (temporären) Mitarbeit durch „abteilungsfremde“ Kolleg*Innen in einem der Squads hervorzuhebend. Begünstigt wird diese wohl auch durch die zeitliche Eingrenzung des Involvements auf bspw. die Teilnahme an einem Stand-up oder einem Sprint-Cycle, der die Sorge nimmt, hier in einem weiteren Thema auf unabsehbare Zeit „gefangen“ zu werden.

4- Das Involvement zentraler Akteure ist essentiell und erfolgskritisch → Gewissenhafte Auswahl und zeitliche Verfügbarkeit sicherstellen

  • Zentrale Akteure meint im vorliegenden Fall die folgenden Rollen:
    • Squad Lead: Wie im Blog 2: Strukturen (Squad - Chapter - Tribe) der im ersten Abschnitt erwähnten Blog-Serie erläutert, handelt es sich bei dem Squad Lead (je nach Organisation, auch als Product Owner bezeichnet) um eine Schlüsselrolle im agilen Vorgehen, der sowohl die Vision für das Ziel sowie die Verantwortung für den wirtschaftlichen Erfolg obliegt. Der Squad Lead ist i.d.R. entweder Fach-/Themenexperte aus dem Bereich PreSales / Customer Advisory oder Account Executive aus dem Vertriebsbereich.
    • Fachexperte(n): Zentrale Wissensträger (meist technische oder fachliche Experten) aus dem Bereich PreSales / Customer Advisory.
    • Agile Coach: Gerade in der Anfangsphase des Einsatzes agiler Arbeitsweisen und Methoden ist die Rolle des Agile Coaches von hoher Relevanz. Er stellt sicher, dass die agile Methodiken richtig angewandt werden und hilft bei Unsicherheiten oder Fragen im Umgang mit der noch neuen Arbeitsweise.
      Hierbei gilt es die hohe Betreuungsintensität durch die Agile Coaches und daraus resultierend den nicht unerheblichen Zeitaufwand zu berücksichtigen, um die Begleitung der ersten Schritte in der Anwendung agiler Prinzipien in ausreichendem Maße sicherzustellen.
      Im vorliegenden Fall führte der gerade zu Beginn der Initiative hohe Workload bei den Agile Coaches teilweise zu Ressourcen- bzw. Priorisierungskonflikten, da die Agile Coaches neben dieser Rolle noch ihre eigentliche (Haupt-)Aufgabe, nämlich die eines Projekt-Managers, wahrgenommen haben. Das Involvement dieser Akteure / Rollen wird hier als erfolgskritisch bezeichnet, weil jede dieser Rolle einen wesentlichen Beitrag zum Erfolg des jeweiligen Squads beiträgt:
    • Der Squad Lead hat die Vision des Ziels und trägt die wirtschaftliche Verantwortung.
    • Die Fachexperten sind die jeweiligen Matter-Experts, ohne deren technisch/fachlichen Input die Zielvision des Squad Leads nicht realisiert werden kann.
    • Der Agile Coach ist insbesondere in der Anfangsphase des Einsatzes agiler Methoden erfolgskritisch, da er die (korrekte) Anwendung agiler Prinzipien und Methoden sicherstellt. Mit zunehmender Erfahrung und Souveränität der beteiligten Mitarbeiter*Innen im Umgang mit der agilen Methodik nimmt die Relevanz tendenziell ab. Dann ist beispielsweise denkbar, dass der Agile Coach nur noch punktuell unterstütz, bspw. durch Teilnahme an wichtigen Events, wie z.B. bei Sprint Review und Planning Sessions.

5- Langläufer eignen sich ebenfalls für die agile Zusammenarbeit à Auch über einen längeren Zeitraum angesetzte (Vertriebs-)Themen eignen sich für und profitieren von der Nutzung agiler Methoden

  • Aufgrund des regelmäßigen, strukturierten Austauschs und dem fokussierten Abarbeiten von Aufgaben bzw. Tasks im Rahmen der Sprint-Cycles profitieren auch langlaufende (Vertriebs-)Themen vom Einsatz agiler Methoden. Beispielhaft sei hier eine Modernisierungsinitiative genannt, in deren Rahmen der überwiegende Teil der Bestandskunden adressiert wird. Die Zusammenarbeit in dem hierfür etablierten „Modernization Squad“ erweist sich als sehr zielführend, da u.a. durch Nutzung von (zum Teil verschiedenen) Backlogs neue Themen / Kunden / Ideen kontinuierlich mit aufgenommen werden können, wobei die regelmäßige Zusammenkunft in den Stand-ups für Transparenz und eine strukturierte Abarbeitung sorgt. 

6- Eine klare Vision bzw. Zielvorstellung des Squad-Leads ist ebenso wesentlich wie der Wille des Squad-Leads, die Führungsfunktion wahrzunehmen

  • Wie in Punkt 4 angesprochen, obliegt der Rolle des Squad Leads die Vision für das Ziel sowie die Verantwortung für den wirtschaftlichen Erfolg (vgl auch Blog 2: Strukturen (Squad - Chapter - Tribe) . Hierfür ist es unerlässlich, dass eine für den Themenkontext relevante fachliche Expertise bei der mit dieser Rolle zu betrauenden Person vorliegt.
    Neben der Identifizierung der für diese Rolle fachlich geeigneten Person und der Sicherstellung der zeitlichen Verfügbarkeit ist jedoch noch ein weiterer Aspekt zu beachten:  Es sollte explizit berücksichtigt und sichergestellt werden, dass die für diese Rolle identifizierte Person die damit verbundene Führungsfunktion im Squad auch annimmt und wahrnehmen will. Wenn auch ohne disziplinarische Führungsautorität versehen, handelt es sich beim Squad Lead durchaus um eine Führungsrolle, wenn auch auf das jeweilige Squad beschränkt. Der Agile Coach kann bei der Anwendung der agilen Methodik unterstützen, die Führung / der Lead liegt aber eindeutig beim Product Owner / Squad Lead.

Zwischenfazit

Wie sieht es denn nun aus mit der "Sinnhaftigkeit" des Einsatzes agiler Methoden im Software-Vertrieb? Nach zwei Jahren kann im vorliegenden Fall ein positives Fazit gezogen werden.

Mit Hilfe eines Trackings auf Squad-Ebene, das gleich zu Beginn der Initiative aufgesetzt wurde, kann der kommerzielle Effekt der Initiative für die DACH-Ländergesellschaft von SAS Institute kontinuierlich verfolgt werden. Wirtschaftlich war die Initiative bislang auf jeden Fall erfolgreich, in diesem Blogbeitrag werden jedoch keinerlei Aussagen zu monetären Größen, wie z.B. Umsatzeffekte oder Ergebnisbeitrag, gemacht.
Es soll an dieser Stelle aber auch realistisch angemerkt werden, dass nicht jedes Squad bzw. jede agile Initiative den erhofften positiven Beitrag zur Pipeline-Generierung oder zum Closing von Vertriebsaktivitäten bringen konnte. Eine Squad-individuelle Ursachenanalyse würde hier den Rahmen sprengen. Es sei jedoch auf Pkt. 2 im vorangehenden Abschnitt verwiesen, in dem als eine der "Lessons Learned" aufgeführt wird, dass allein die Anwendung agiler Methoden noch kein Erfolgsgarant ist.

Neben dem positiven wirtschaftlichen Ergebnisbeitrag ist aber ein weiterer Aspekt aus meiner Sicht sogar als noch größerer Erfolg zu werten:
Im Unternehmen wurde ein Bewusstsein für agiles Arbeiten geschaffen inklusive einem Verständnis für mögliche Einsatzgebiete wie auch verfügbarer Methoden und Werkzeuge. Die ursprünglich auf den Vertriebsbereich fokussierte Initiative hat dabei eine weit über diesen Bereich hinausgehende Sichtbarkeit erlangt, vgl. hierzu auch Pkt. 3 zur Cross-Divisional Collaboration. Und diese Sichtbarkeit beschränkt sich nicht nur auf die übrigen Abteilungen der deutschsprachigen Organisation des Unternehmens, sondern umfasst darüber hinaus ebenfalls etliche weitere europäische Ländergesellschaften des Unternehmens.

Mit dem Einsatz agiler Methoden im Software-Vertrieb übernahm die deutsche Ländergesellschaft eine Art Vorreiterrolle zum Thema "Agile", die einen regen Austausch auch mit anderen Ländergesellschaften zur Folge hatte und nun Nachahmer in weiteren Organisationseinheiten und Ländergesellschaften des Unternehmens findet.

Zusammengefasst kann festgehalten werden, dass der Einsatz agiler Methoden im Software-Vertrieb einen sinnvollen, erfolgversprechenden Ansatz darstellt, wobei zu berücksichtigen ist, dass…:

  • … nur allein die Anwendung agiler Vorgehensweisen kein Erfolgsgarant ist und nicht jedes Thema für die Bearbeitung im Squad geeignet ist.
  • … das Involvement zentraler Akteure (insb. des Squad-Lead) essentiell bzw. erfolgskritisch ist.
  • … eine klare Vision bzw. Zielvorstellung des Squad-Leads unabdingbar ist.
  • … Zeit für das Tagesgeschäft (im vorliegenden Fall die Vertriebstätigkeit / Account-Arbeit mit Kundenkontakt) bleiben muss.

Wenn Sie mehr über die Nutzung agiler Methoden in einer Vertriebsorganisation wissen oder von unseren Erfahrungen profitieren möchten, kontaktieren Sie mich gerne direkt unter stefan.herzog@sas.com.

Tags AI
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About Author

Stefan Herzog

Senior Implementation Project Manager

Stefan ist seit 2011 bei SAS. Nach seinen früheren beruflichen Stationen bei Deutsche Bank und Lufthansa hat Stefan bei SAS verschiedene Positionen im vertriebsnahen bzw. -unterstützenden Umfeld (Customer Advisory) begleitet, u.a. als PreSales Consultant und als Business Value Consultant. In seiner aktuellen Rolle als Senior Project Manager (PMP®-zertifiziert) liegt der Fokus seiner Arbeit auf der erfolgreichen Durchführung von Software-Verprobungen in der PreSales-Phase. Neben der Planung und Leitung einer Vielzahl dieser Proof of Concepts, Proof of Values etc. im DACH-Raum übernimmt Stefan seit gut einem Jahr zusätzlich die Aufgaben eines Agile Coaches bei SAS. Als zertifizierter Scrum Master (PSM-I) unterstützt er hierbei die SAS-Organisation wie auch die agilen Teams bei der Einführung und Anwendung agiler Prinzipien.

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