Unternehmen brauchen Data Scientists. Sie formulieren Stellenausschreibungen, doch Absolventinnen dieser Studienrichtung beklagen oft allzu unklar formulierte Anzeigen: „Meist suchen die Content-Entwicklung, Data Engeneering oder Marketing-Science-Leute. Mit Data Science hat das oftmals nichts zu tun“, sagt Larissa Haas. Sie ist Senior Data Scientist bei sovanta AG in Mannheim.
Sie war selbst betroffen nach ihrem Abschluss an der Universität Mannheim. Könnte es sein, dass der Hype um Data Science und Künstliche Intelligenz viel Verwirrung erzeugt hat? Was meinen Unternehmen genau, wenn sie Data Science sagen? Und was meinen Hochschulen, die Data-Science-Studiengänge anbieten? Und zu guter Letzt: Was denken Absolvent:innen von ihrem Abschluss, was glauben sie, halten sie in der Hand?
Der Blick in den Markt
„Es gibt mittlerweile 400 unterschiedliche Studiengänge Data Science in Deutschland“, addiert Kai Stenzel das deutsche Hochschulangebot für alle, die Data Science studieren wollen, auf. Er ist Chief Market Officer bei der Mannheim Business School und fragt sich, wie Unternehmen da den Überblick behalten können und vor allem, woher sie wissen sollen, welche Kompetenz sie überhaupt einstellen müssen? Seiner Erfahrung nach orientieren die Hochschulen ihr Curriculum viel zu wenig am Bedarf der Wirtschaft: „Hochschulen müssen dringend überlegen, was der aktuelle Bedarf ist. Und das hängt wiederum davon ab, welche Analytics-Strategie eine Firma überhaupt hat, wenn sie eine hat. Wir sehen, dass das Curriculum oftmals nicht an dieser Strategie ausgerichtet ist.“ Und so wüssten die Studierenden oftmals nicht, was sie bekämen, wenn sie ihren Vertrag unterschreiben. Die Wirtschaft müsse sich viel mehr mit den Hochschulen und den Studierenden austauschen. Das Feld sei in ewiger Bewegung.
Man müsse mehr über den Beruf reden, mehr Werbung für ihn machen, findet Jürgen Quittek, Leiter NEC Labs für Europa. Er betrachtet die Lage aus Unternehmenssicht und stellt diese Anforderungen an die Studierenden: „Hohe Flexibilität zeigen. Die Kandidaten müssen eine große Offenheit mitbringen.“ Nicht die Frage nach den Grundlagen sei einstellungsrelevant, sondern inwieweit sich die Nachwuchskräfte weiterentwickeln wollen, wenn sie dann im Job sind.
Die Duale Hochschule Baden-Württemberg beispielsweise weiß um diese Ambivalenzen. „Unser Konzept zielt ja genau darauf ab“, sagt Martina Klärle, Direktorin der Dualen Hochschule Baden-Württemberg. „Die Absolventen werden befähigt zu erkennen, welche Methoden wo einzusetzen sind und für was genau man die braucht. Unsere Lehrenden und Studierenden sind ja stets an beiden Orten: in der Wirtschaft und an der Hochschule zugleich. Und da erfolgt dann auch der Transfer in das Domänenwissen.
Transfer in die Domäne
Tobias Krafft von trusted AI findet sogar, dass der Transfer in die Domäne erst im Job zu geschehen habe. „Die vielen Studiengänge, die es gibt, unterscheiden sich in dem Grad der Anpassung an eine bestimmte Domäne. Die Frage ist nun, wie Absolventinnen das Gelernte auf andere Domänen zu abstrahieren wissen.“
Silas Eyrich, Assistent des Vorstandes der Würth Gruppe, hat an der Dualen Hochschule studiert und sieht das ähnlich. „Wir müssen von einer Informationskultur auf eine Lernkultur migrieren. Man lernt Dinge auswendig, die nicht gebraucht werden und sich schnell überholt haben. Studierende aller Studiengänge, nicht nur Data Science, sollten viel mehr bereit sein, sich On-the-Job weiterzubilden.“
Und das sei ja auch der Reiz eines Data Science Studiums, findet Larissa Haas. Eben nicht das ganze Domänenwissen an den Unis vermittelt zu bekommen, sondern zu transferieren, sich selbst zu überlegen, wie das Methodenwissen auf andere Fachbereiche übertragen werden kann. „Das habe ich von meinem Studium auch gar nicht erwartet.“
Doch so einfach ist das nicht. Für viele Unternehmen ist Data Science ja neu. Und noch gar nicht in den traditionellen HR-Prozessen abgebildet. “Was genau einen guten Data Scientist ausmacht, ist unbekannt. Das liegt an der Unerfahrenheit der Unternehmen und daran, dass sich Unternehmensprozesse nur langsam entwickeln“, weiß Quittek aus eigener Erfahrung zu berichten. Die Entwicklung der Bildung sei genauso rasant wie alles andere auch. Früher fielen die Wissensvermittlung und die Wissensverarbeitung zusammen. Heute gehe das viel stärker auseinander - auch wegen des digitalen Lernens. Man habe eine Druckbetankung von Wissen, doch die Anwendung dieses Wissens sei zeitlich und räumlich versetzt. Zur Bildung gehöre, findet Klärle deshalb, nicht nur der Teil des Studiums, sondern auch die lebenslange Weiterbildung für alle. Das sei die künftige Aufgabe der Hochschulen.
Kai Stenzel fordert von den Hochschulen viel mehr Interdisziplinarität, Projektfähigkeit und Teamarbeit. Nur so könne die angesprochene Transformation von Methodenwissen zur Fachlichkeit geleistet werden. „Und genau das passiert in den meisten Studiengängen aktuell nicht.“