Labs sprießen wie Pilze aus dem Boden. Wollen Unternehmen damit junge Talente für sich gewinnen oder schlummert in solchen Labs auch ein Beitrag für die Zukunft der akademischen Bildung bei Digitalisierung und neuen Technologien wie Künstlicher Intelligenz? Darüber sprachen wir mit Karel Dörner und Holger Hürtgen, beide von McKinsey & Company, Dr. Kinga Schumacher vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz, (DFKI) sowie mit Prof. Michael Hartmer, Geschäftsführer des Deutschen Hochschulverbandes.
VW unterhält eines, BMW auch, die Deutsche Post DHL und sogar einzelne Regionen gönnen sich KI Labs oder auch Digital Labs. Für McKinsey ist die Intention klar: Recruiting von seltenen Talenten plus praxisnaher Forschung, sprich technologische Klientenanforderungen inhouse lösen. Und es geht um die Weiterbildung der eigenen Belegschaft, die die Klienten in Fragen der Digitalisierung umfassend berät. Ähnlich geht es bei DHL zu. Da heißt es auf der Website, man wolle die Mitarbeiter in die Lage versetzen, die Zukunft der Logistik zu gestalten und eine zukunftsorientierte Denkweise fördern.
Es regt sich die Erkenntnis, dass Belegschaften auf den neuesten Stand einer Technologie gebracht werden müssen, um die keiner mehr umhin kommt. Sind dafür auch die KI Labs entstanden, die einzelne Bundesländer ins Leben gerufen haben wie Baden-Württemberg mit sage und schreibe 19 KI-Labs an unterschiedlichen Standorten? Die Wirtschaftsministerin des Landes Baden-Württemberg, Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut sagt dazu: „Künstliche Intelligenz ist die Schlüsseltechnologie für die Wertschöpfung und die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft im Land. Wir müssen dafür sorgen, dass KI bei den mittelständischen Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen auch wirklich ankommt. Die KI-Labs sind eine wichtige erste Anlaufstelle in der jeweiligen Region, bei der sich alle interessierten Unternehmen über konkrete Einsatzmöglichkeiten von KI und beispielhafte Anwendungen informieren können. Die hohe Nachfrage zeigt, dass wir den Bedarf der Unternehmen mit den Angeboten der KI-Labs voll getroffen haben.“
Auch da geht es ums Fitmachen für die Zukunft mit Künstlicher Intelligenz. Wir lesen auf der Homepage, dass Branchenteilnehmer unterstützt werden bei eben solchen Vorhaben. Kostenlose Beratung und Hilfe bei der Umsetzung von klein bis mittelgroß inklusive. Doch wie sieht es in der Praxis aus, was geschieht im Feld?
„Labs können hervorragend funktionieren, um Mitarbeiter zu entwickeln. Aber bitte aufpassen, dass man die Talente nicht in einem Lab einschließt. Nie darf der Kontakt zum Rest der Organisation verloren gehen“, warnt Dörner. Wenngleich sich diese Ermahnung an Strukturen richtet, zeigt sie doch, dass Digitalbildung mehr ist als platte Nachwuchsförderung aus Good-Old-Germany.
Die Labs helfen Unternehmen, an die sehr seltenen Talente zu kommen, keine Frage. Und womit reizen Sie die Talente in einem Lab zu arbeiten, Herr Dörner? „Die wissen, dass sie zu Gleichgesinnten kommen in ein Umfeld, in dem es eine hohe Entwicklung und Förderung gibt.“
Keine Isolation bitte!
Dörner ist sich sicher, dass, wenn dieser Anspruch nicht erfüllt wird, dass dann der eigentliche Daseinsgrund solcher Labs nicht erfüllt ist. Das unterstützt auch Holger Hürtgen, Dörners Kollege und Leiter von McKinsey Analytics in Deutschland. „Wir glauben fest, dass die cross-funktionale Ausrichtung das A und O solcher Labs ist.“ Ein solcher Labspirit sei für Studentinnen besonders attraktiv.
Liegt in dieser Attitüde, die da vorgelebt wird am Ende wohl gar die Zukunft von Ausbildung? Wer es als klassischer Konzern vermag, ein klares Signal in die Szene der Data Scientists zu setzen, tut nicht nur etwas für seine Klientel, sondern eben auch für einen strukturellen Wandel von Bildung im Tech-Bereich. Könnte sein.
Möchten wir meinen, dass sich die Zukunft der Wissenschaft auch in Wirtschaftsunternehmen abspielt? Dazu muss man erst einmal den Status Quos von Bildung in Deutschland bewerten. Die habe, laut Prof. Michael Hartmer Nachholbedarf. „Geld schießt Tore“, scherzt er. Damit will er vermutlich sagen, dass, wer 1a Köpfe an die Unis zu holen vermag, dass sich der auf kapitalistisch natürliche Weise eine Elitebildung ins Land holen kann. „Entscheidend ist, wen Hochschulen berufen können. Die besten Leute kosten viel. Das ist nicht anders als beim Profifußball.“
Ja, vielleicht können sich Max-Planck-Institute oder außeruniversitäre Forschungszentren Top-Wissenschaftlerinnen aus den USA leisten. „Aber eine normale Uni wohl kaum.“ Es ist immer die Frage, welche Spitzenleute eine Hochschule an sich binden kann.
Werfen wir hier mal kurz einen Blick über den Tellerrand hinaus. Wenn man bedenkt, dass das deutsche Bildungssystem nicht so rosig ist, sowohl im Schul- als auch im Hochschulbereich, fällt es leicht, an Wirtschaftsunternehmen als Inkubatoren für Talent zu denken. Schulabschluss hier, Uni da, arbeiten wieder hier. (Mit „hier“ ist Deutschland gemeint.)
Frau Dr. Schumacher wie ist die Lage für das Spezialgebiet KI an deutschen Hochschulen denn? Ihr Fazit: „KI ist in ihrer Vielfalt deutlich unterrepräsentiert. Ganz zu schweigen von Hochschulen, die erst gar kein technisches Curriculum anbieten. Da herrsche ein großer Mangel an KI-Wissensvermittlung. Dennoch ist der Bedarf erkannt.
Und was die technischen Universitäten betrifft, so müsse auch hier nachgeholt werden. Die Kurse zum Maschinellen Lernen und Kommunikation (NLP, Robotik) überwiegen. Aber die grundlegenden Methoden der Problemlösung, Entscheidungsfindung, Optimierung oder Planung kämen kaum vor. Dies seien wichtige Bausteine bei KI-Anwendungen.
Und Schumacher weist darauf hin, dass auch die anwendungsspezifischen Angebote ausbaufähig seien. KI-Anwendungen verstehen, richtig einsetzen und interpretieren: da sei noch viel Luft nach oben, gerade für informatik-/informationstechnologienfremde Studiengänge. Gut, nun kann man ihr vorwerfen, sie ziehe mit KI eine Neulingstechnologie heran. Also sich doch lieber bei der Wirtschaft praxisorientiert ausbilden lassen? Das wäre wahrscheinlich zu verkürzt. Es ist natürlich nicht damit getan, ein cross-funktionales Lab zu bauen und zu glauben, seinem KI-Begehr sei genüge getan. Denn ein Unternehmen ist ein soziales Gefüge. Alle müssen mitgenommen werden. Während die Hochschulen eine Verantwortung ihren Studenten gegenüber haben, haben Firmen diese allen Altersklassen ihrer Belegschaft gegenüber.
Vom Deutsch-Mathe-Deutsch-Übersetzungsprozess
Man braucht eben auch die bestehende Belegschaft, sagt Hürtgen. Auch die muss eingebunden werden. Dazu hat McKinsey schon vor längerer Zeit ein Academy-Programm ins Leben gerufen. Innerhalb dieses Angebots werden Mitartbeiter auf neue klientenrelevante Themen trainiert. „Die Angebote sind hierarchieunabhängig, sie richten sich an alle Kollegen.“ So vermittelt die Akademie unter anderem praxisnahes Wissen zu KI, Machine Learning oder Data Translation. „Die Kollegen sollen verstehen, welche Wertschöpfungspotenziale durch digitale and Analytics-Technologien für unsere Klienten freigesetzt werden können. Auch wenn sie keine Digital- oder Analytics-Experten sind, benötigen sie Übersetzerfähigkeiten, um beispielsweise zwischen IT, Datenanalysten und Bereichsverantwortlichen vermitteln zu können“, sagt Hürtgen. Und nennt das den Deutsch – Mathe – Deutsch – Übersetzungsprozess.
Hürtgen: „Im Alltagsgeschäft ist die Entwicklung von perfekten digitalen Lösungen kaum mehr erforderlich. Vielmehr müssen die Lösungen geschäftsrelevant sein. Anders als an der Uni handeln die Beteiligten unter enormem Zeitdruck. Diese Praxistauglichkeit von Forschung und Entwicklung sollte auch in der Akademia stärker in den Fokus gerückt werden."
Es gibt, so Schumacher, heute keine Branche mehr, die nicht von KI betroffen ist. „Ich kenne keine Branche, wo der KI-Fokus zu stark wäre. Ich würde den Fokus als teilweise ausreichend und teilweise als zu gering beurteilen.“ Und wer, wenn nicht die Branche der Unternehmensberatungen täte gut daran, seine gesamte Belegschaft in Richtung KI zu trainieren? Und das deckt sich auch mit der Beobachtung von Schumacher: „Ich denke die Rolle der Interdisziplinarität ist gestiegen.“
Welche Rolle spielt denn nun die Industrie bei der Digitalbildung in Deutschland? Eine wichtige, das zumindest beobachtet Karel Dörner europaweit bei seinen Klienten. Man habe mit einem Phänomen zu tun, das einerseits als Recruitinginstrument dient und andererseits eine praxisnahe Forschung ist. Dass also mit Uniabschuss das Thema Forschung nicht abgeschaltet, sondern kundenbezogen fortgeführt wird. Und bei dem ganzen geht es nicht um die perfekten Laborergebnisse. Durch iterative Schleifen wird immer wieder die ideale Lösung gefunden. Und diese Ausrichtung am praktischen Beispiel eines Klientenauftrags steht für Dörner und Hürtgen heutzutage an vorderster Stelle.
Die Richtigkeit einer Lösung multipliziert mit Umsetzungsfähigkeit ist beider Erfolgsformel. Und diese Formel gilt für Künstliche Intelligenz wie auch für Advanced Analytics-Projekte gleichermaßen.