KI im Flugzeugbau AI#38

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Wir sitzen im Flugzeug in 11 Kilometer Höhe über dem Atlantik und träumen uns aus dem Fenster. Der Blick bleibt an den kleinen Nieten auf der Tragfläche nicht weit von uns kleben. Wir fragen uns: Wie halten Millionen dieser Verbindungen ein Flugzeug über viele Jahre hinweg zusammen? Die Suche nach der Antwort führt uns in die Werkshallen vom Maschinenbauer Broetje-Automation. Hier arbeiten Experten, die diese besonderen Nieten, die unseren Blick gefesselt halten, per KI gesteuerter Maschinen und Roboter so montieren, dass diese ein Flugzeugleben lang fest bleiben. Ein Gespräch mit Dirk Eickhorst ist unausweichlich. Sein Team ist für diese Robotik mit KI verantwortlich. Ihm obliegen die Themen Künstliche Intelligenz, Robotik, Digitalisierung und alles rund um Industrie 4.0.

Der Simulationskünstler

Dirk Eickhorst ist Informatiker, Maschinenbauer und leidenschaftlicher Simulationskünstler. Seine Welt sind die Roboter. Sie können so groß sein wie Einfamilienhäuser, aber auch so klein wie ein Rasenmäher. „Diese Anlagen kann man nicht von der Stange kaufen. Die müssen Flugzeugteile vernieten, die manchmal so groß sind wie zwei Mega-Trucks. Aber gleichzeitig müssen sie mit höchster Präzision arbeiten."

Dirk Eickhorst simuliert am Rechner
Dirk Eickhorst simuliert am Rechner

Gelandet sind wir auf dem Terrain der Simulationen im Flugzeugbau, auf dem Terrain der Digitalisierung in der Fertigungsindustrie, auf dem Terrain von Big und von Smart Data und auf dem der Künstlichen Intelligenz. Eickhorsts Gleichung klingt einfach: Zuerst der digitale Zwilling, dann der Roboter und dann die Fertigung. Dieses Zusammenspiel von virtueller und realer Welt ist Herausforderung und Chance zugleich. Während in der digitalen Welt Maße, Genauigkeiten und Bewegungen immer identisch sind, kommen in der realen Welt noch viele weitere Einflussfaktoren wie Temperaturen, Verschleiß und Bauabweichungen hinzu. Ein permanenter Abgleich mit der Realität bleibt ein Muss. Eickhorst betrachtet nüchtern: „Am Ende gewinnt immer die Realität, denn das Bauteil muss tatsächlich passen – virtuell reicht nicht.“

Foto: PowerRACe, Broetje-Automation
Foto: PowerRACe, Broetje-Automation

In der Luftfahrtindustrie wurden, so Eickhorst, Roboter lange eher gemieden. Warum? Die hohen Ansprüche an Präzision waren oft der Preis für besonders große Bewegungsfreiheit und Variabilität. Erst die Künstliche Intelligenz und Digitalisierung haben das geändert. Der PowerRACe – so der Name des grauen Riesen – ist der erste Roboter, der speziell für die Luftfahrtindustrie entworfen und gebaut wurde. Möglich wurde das laut Eickhorst, weil das System vorher simuliert worden war.

Ungeeignet für Big Data?

Bei der Robotik für Flugzeugteile müsse man schlicht und ergreifend aufpassen, wie man Big Data intelligent interpretiere, sonst würden die Datenmengen so groß, dass man sie kaum noch bändigen könne. „Die Diskussion um Big Data ist meiner Meinung in den vergangenen Jahren mit Bezug auf die Automatisierungstechnik in die völlig falsche Richtung gelaufen.“

Es gehe nicht nur um die Sammlung Daten. Viel wichtiger sei es, intelligente Wege zu finden, sie gezielt auszuwerten, um schließlich das Gesamtsystems zu verbessern. „Am Ende muss alles praktikabel bleiben und für den Kunden einen Nutzen bringen. Im Vordergrund steht immer und überall, was wir mit Big Data tun können, und zwar ganz praktisch, nicht rein wissenschaftlich betrachtet." Die Methoden müssen natürlich wissenschaftlich fundiert sein, aber der praktische, wirtschaftliche Nutzen stehe im Vordergrund.

MPAC Nietanlage, Broetje-Automation
MPAC Nietanlage, Broetje-Automation

Fazit - KI nutzt allen

Eickhorst ist sehr froh, dass das Thema Digitalisierung in der Industrieproduktion immer stärker zur Sprache kommt, auch und gerade für seine Branche. Schließlich finden die großen Innovationen in der Automatisierungstechnik digital statt. Broetje-Automation nimmt das ernst. Der Flugzeugbauer forscht zusammen mit dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) am Zusammenspiel von Mensch und Maschine. Da geht es um Einsatzszenarien für kollaborative Robotik mittels KI. Der Roboter soll aktiv mit dem Menschen zusammenarbeiten und ihm beispielsweise ergonomisch schwierige oder sehr eintönige körperliche Arbeiten abnehmen, damit beide Hand-in-Hand arbeiten werden. Ein sehr komplexes Unterfangen.

„Wir haben die Chance, dass man die neuen Technologien nicht nur unter einem wirtschaftlichen Aspekt betrachtet. Mit kollaborativer Robotik und KI kann man den Mitarbeitern in ihrem Arbeitsumfeld vieles erleichtern.“ Gerade in der Fertigung und im Flugzeugbau können neue Technologien, Künstliche Intelligenz und all ihre Disziplinen somit mithelfen, auch zur Lösung des Problems des demografischen Wandels beizutragen. Das wird zukünftig immer stärker auch finanziell sichtbar werden. Im Flugzeugbau mit seinen hohen Ansprüchen an Sicherheit, Genauigkeit und Qualität ist das wichtig. So trägt die Digitalisierung mit dazu bei, dass wir alle getrost im Flugzeug in 11 Kilometer Höhe über dem Atlantik einen Blick auf die Nieten an den Tragflächen werfen können, ohne sich Gedanken zu deren Haltbarkeit oder Passgenauigkeit machen zu müssen.

Danke Dirk Eickhorst und Norbert Steinkemper für dieses freundliche Gespräch!

 

Tags AI Series
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Andrea Deinert

Journalist // Blogger for AI and Data Science // Data Science Community Liaison // Academic Liaison || Portraits opinion leaders from politics, society and research to reveal the meaning of AI and ethics for future society.

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