Was geht einem Mainzelmännchen durch den Kopf, wenn es mit Laptop oder Smartphone über unsere Bildschirme flackert? Wahrscheinlich nichts. Einer Trickfigur kann nichts durch den Kopf gehen. Dabei geben sich deren Macherinnen größte Mühe, die sechs Wichtel so lebendig wie möglich wirken zu lassen. Sie sollen keine kalten, von einem Rechner gezeichneten Gestalten sein.
KI zeichnet nicht
Das ZDF Werbefernsehen gewährte uns einen Blick hinter die Kulissen der Entstehung von Anton, Berti, Conni, Det, Edi und Fritzchen. Und dabei hat sich etwas sehr Ungewöhnliches und Tröstliches offenbart: Technologie entziehe die Lebendigkeit, die Wärme. Das zumindest findet Hans-Joachim Strauch, Geschäftsführer vom ZDF Werbefernsehen. Und deshalb belasse man es bei der alten Methode der Herstellung. Martina Sasse, die Produktionschefin bei der NFP animation film, sieht das genauso. Sie und ihr internationales Team zeichnen seit fast 60 Jahren Mainzelmännchen am Stück. Aber von Künstlicher Intelligenz will man am Lerchenberg in Mainz zumindest in dieser Disziplin nichts wissen.
Ist das ZDF da nicht etwas konservativ, Herr Strauch, könnten Sie nicht effizienter und kostengünstiger arbeiten? Strauch gibt in seiner Funktion sein halbes Berufsleben Mainzelmännchen final frei. Und so gibt er frei, was die Gebührenzahler an Abendunterhaltung erwarten: liebvolle Flucht aus dem Alltag, die ab und zu an die eigenen Probleme erinnert wie Corona, sie aber humoristisch und wertfrei löst. „Und da sollen unsere Inserts warm und irgendwie menschlich wirken.“
Als täte es die eigene Mutter
Das Team von NFP und Hans-Joachim Strauch ist sich einig: „Diese o8/15 Trickfiguren aus 3D Animationen schließen nicht mein Herz auf. Da müsste die Story drumherum schon extrem gut sein, um das wettzumachen.“ Und so bleibt er lieber konservativ. Und in diesem Spirit wird rund um den Globus weiter per Hand gezeichnet. Martina Sasse: „Mein Team besteht aus freien Animatoren, wir legen großen Wert auf das Handwerk. Unsere Animatoren haben eine spezielle Ausbildung."
Auf Dashboards arbeiten die Zeichner: die, die die Hauptphasen zeichen und die, die die Zwischenphasen zeichnen. Die Hauptphasenzeichner geben die Bewegungen vor und die Zwischenphasenzeichner kümmern sich um die Zwischenbewegungen, damit alles am Ende flüssig aussieht. Die Zwischenphasenzeichner cleanen schließlich auch die Figuren, so dass die Außenkontur sauber ist. Jede einzelne Figur wird schließlich zum Schluss darauf geprüft, ob Augen oder Münder an der richtigen Stelle sitzen und ob zum Beispiel die Gurkenschneideszene so aussieht, als würde die eigene Mutter eine Gurke zerteilen.
Wer traditionell hergestellt wird wie Det und Co., kann westeuropäische Traditionen wohl auch am besten vermitteln: „Wir orientieren uns bei unseren Storys im übertragenen Sinne an den zehn Geboten. Die Inserts spiegeln die Gesellschaft wider und wir nehmen Trends auf,“ sagt Strauch. Die sechs Freunde müssen am Ende immer lächeln, freundlich und unterhaltend wirken. Die Story schließt immer mit einem Happy End ab. Schadenfreude gibt es nicht. Es gibt keine gesellschaftliche Problembewältigung. Ob religiös, politisch oder sozial – all das wird ausgeklammert.
Keine Mainzelfrau geplant
Trotz ihres Namens sind die Mainzelmännchen geschlechtslose, fiktionale Trickfiguren und bestehen in ihrer heutigen Zusammensetzung als Marke seit nahezu 60 Jahren. Eine Veränderung dieser Marke ist aktuell nicht geplant. So sind schwarze oder weiße Mainzelfrauen oder ein schwules, lesbisches oder transgender Mainzelmännchen mit Migrationshintergrund aktuell nicht in Planung. Warum nicht, Herr Strauch? „Die Aufgabe der Mainzelmännchen ist und war immer begleitend und unterhaltend zu sein. Die Zuschauerinnen würden das nicht verstehen, wenn wir uns in diese Debatten einklinken würden.“ Aber nicht jeder Trend wird kategorisch ausgeklammert, Beispiel Corona.
Corona habe die Eltern der Mainzelmännchen, so Strauch, irgendwie kalt erwischt. Das war eine unangemeldete Zäsur, die erst mal den ganzen Produktionsprozess durcheinandergebracht hatte. „Wir hatten viel Stress im März 2020. Da rollte die Stornowelle für’s Werbefernsehen auf uns zu, keiner wusste wie das nun alles weitergeht. Da waren wir so mit unserem primären Business beschäftigt, dass wir erst mal gar nicht darüber nachdachten, Corona als Thema in den Inserts widerzuspiegeln. Auf sowas kamen wir gar nicht.“
Dennoch: Seit März werden wir allabendlich an Maskenpflicht und AHA-Regeln erinnert. Hat das der Fernsehrat entscheiden? „Nein, das war ein Zuschauer über social media. Er wollte wissen, wieso die Mainzelmännchen nicht gerade jetzt genau das tun, was sie schon seit Jahrzehnten tun. Nämlich einordnen und als Vorbild dienen“, sagt Strauch. Und so seien die Masken innerhalb von drei Tagen ins Gesicht der Mainzelmännchen gekommen.
Die Gene der Wichtel
Wenn man bedenkt, dass knapp 3,7 Millionen Zuschauer (Q1 – Q3 2020) die Trailer im Durchschnitt sehen, sei zu vermerken, dass die Botschaft wohl ankommt. Als singulär stärkstes Medium in Deutschland mit täglich knapp 23 Millionen Zuschauerinnen (Q1 – Q3 2020) tut die Werbeinsel dem ZDF beim Kampf gegen Corona sicher gut. „Unsere Zuschauer goutieren unser Engagement zumindest“, sagt Strauch. „In den Genen der Mainzelmännchen liegt quasi ein gesellschaftlicher Auftrag. Das ist toll, dass der so positiv angenommen wird.“
Ist das Konzept nicht aus der Zeit gefallen? Wenn man Spiegelbild einer Gesellschaft sein will, warum bleibt die Diversity-Debatte unangefasst? „Für uns sind das neutrale Trickfiguren, weder weiblich noch männlich. Wir wollen das Thema nicht spielen, sondern diese Trickfilme nach vorne setzen. Sie sind Heinzelmännchen, Mainzelmännchen oder fleißige Helfer, Wichtel, das war auch die Idee von damals.“
Auch Eva Bender, die Produktionsleiterin der Mainzelmännchen, möchte die Neutralität der Figuren bloß nicht unterwandern. „Es wäre relativ schwierig, diese Themen einzubeziehen. Tatsächlich würde man bestimmt eine gesellschaftliche Minderheit vergessen. Das würde zu Unmut führen. Diese Themen werden vom ZDF durch den Programmauftrag bereits in Gänze erschöpft. Die Mainzelmännchen sind da einfach in einer anderen Position.“
Man beschäftigt sich lieber mit neutralen Themen wie einer IAA, Automotive, Weihnachten, den Winter und den Sommer oder Halloween. Es wird sich verkleidet und auch ein bisschen erschreckt, aber nie unangenehm oder blutig.
Nie ein einzelnes Insert wird neu gemacht, sondern stets rund 100 Stück en bloc. Nach rund vier Wochen sind diese Blockgeschichten fertig und werden ins System eingespielt. Ein KI-Algorithmus entscheidet dann über sein Erscheinen während der Werbepausen im TV. Idealerweise merkt man den Wechsel der Inhalte gar nicht. Eine Disponentin schaut immer noch final auf die Vorschläge der Künstlichen Intelligenz (KI), ob sich alles in einem harmonischen Ganzen bewegt und ob sich die Story ergänzt: Werbespot versus Mainzelmännchenslot. „Das soll auch so bleiben, denn wir glauben an den Menschen“, sagt Strauch.
Zum Schluss: Wann werden wir Mainzelmännchen sehen, die Schlange stehen vor Impfzentren? Nie, das wisse Strauch schon jetzt. Das wäre eine trennende Diskussion. Das wäre keine heile Welt mehr, die wir da reflektieren.