"Nicht mit fettem Rechner zufrieden geben. Die jungen Leute haben Budget, mit dem sie selbst entscheiden, was sie zur Problemlösung brauchen."
Das ist die Vision des Lehrstuhlinhabers für Data Science an der HAW, der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Darmstadt, Professor Markus Döhring. Und er sagt nein, es gebe keine Rezeption bei uns, die Wünsche der Industrie an unsere Lehre annimmt. Rückfrage: Warum denn nicht, wäre das nicht sinnvoll? Die Industrie beklagt doch mancherorts eine weltfremde akademische Lehre. Er affirmiert, als er darüber sinniert, dass eine solche Annahmestelle vielleicht gar nicht so unpraktisch wäre. Es gebe ein wenig Nachholbedarf, aber nicht, weil er und seine Kolleg’innen so weltfremd arbeiten würden, sondern weil die Strukturen im Öffentlichen Bereich neu gedacht werden könnten. Und damit beantwortet Döhring unsere Frage, inwiefern die akademische Lehre an die Bedarfe der Industrie angepasst ist, zweiteilig.
Es gebe die Rückkoppelung zur Industrie. Die sei gut. Und es gebe die Strukturen, um diese Rückmeldungen ins System einzuflechten. Und hier sein Beispiel: „Studis und wir wollen unsere Arbeitsumgebung eigentlich auf Knopfdruck haben. Und wenn ich fertig bin, dann will ich diese Umgebung wieder ins Nirvana schießen.“ Und für dieses Begehr sind für Döhring Cloud-Technologien essentiell. Diese wichtige Cloud-Denkweise in der Lehre und Forschung ist aber noch lange nicht da, wo sie eigentlich sein sollte, sagt er.
Strukturvorhaben
Zuversicht treibt ihn an. Denn Döhring glaubt, dass dieses nötige systemische Umdenken durch den Virtualisierungszwang wegen Corona an Schub gewinnt. Glauben wir mit ihm mit. Denn wenn der Öffentliche Bereich cloudish zu denken lernte, könnte er zumindest an der Hochschule Darmstadt seine Lehre noch viel besser an die Bedarfe der Industrie anpassen.
Strukturen spiegeln also Inhalt wieder. Haben wir kapiert. Und mit Inhalt meint er seine Lehre. Denn was an Strukturellem nachzuholen sei bei Hochschulen, sei an Kontakten zur Industrie ja da. Kaum Lücken zu vermerken. Wir halten fest: Auf sehr hohem Niveau ist zu klagen an der HAW in Darmstadt. Und Döhring lobt ausdrücklich erneut die sehr gute Verbindung zwischen seiner Lehranstalt und ihren Industriepartnern. Auch wegen der jährlichen Studienevaluationstreffen, zu denen auch die Leute aus der Industrie geladen werden.
Ist das wirklich ein Ist-Zustand, der erfreut? Döhring lacht: „Klar, verbessern kann man immer. Dieser Ist-Zustand, wie sie ihn nennen, wird ja ständig angepasst. Aber nicht über formale Annahmestellen, sondern mehr über die informelle Schiene.“ Also dadurch, dass die Hochschule Projekte direkt bei den Unternehmen betreut. So kommt man viel intensiver ins Gespräch. „Und dies Feedback nehmen wir mit in unsere diversen Ausschusstreffen, die regelmäßig stattfinden.“
Doch nochmal zurück zu Strukturen. Für die dual Studierenden gibt es zum Beispiel ein Studienzentrum bei der HAW. Das dürfen wir uns als Organisationseinheit vorstellen, die sich um deren Belange und dementsprechend auch um die der Unternehmen kümmert. Dieses Dualsystem wollen er und seine Kolleg’innen an der HAW ausbauen, quasi als Versorgungsschlauch für Wissen zwischen Hochschule und Industrie. „Wir haben im Bachelor schon einen recht hohen Anteil; auch beim Data-Science-Master bauen wir dieses duale Modell jetzt aus.“
Klar, verbessern kann man immer. Dieser Ist-Zustand, wie sie ihn nennen, wird ja ständig angepasst.
Ein großes Versicherungsunternehmen hat bereits ein Versprechen abgegeben: Das will für die kommende Saison fünf junge Leute zu ihm in den Data-Science-Master schicken. Die Unternehmensvertreter sind in diesem Fall direkt in die Gestaltung des Studienprogramms involviert: „Macht doch noch mal ein bisschen mehr zu Datenqualitätssicherung, Data Cleansing oder Data Governance“, könnte es von den Dächern rüber pfeifen.
Das ist also der Ist-Zustand, der erfreut. Hört sich doch gut an, Herr Döhring. „Ja durchaus. Ich möchte aber auch sagen, dass wir besser aufgestellt sind als die Unis. Das wird da gegebenfalls ein bisschen unterschiedlicher gelebt, mit allen Vor- und Nachteilen.“ Und so rutschen wir ab ins Visionäre, in die Welt der Tagträumereien und wollen mal wissen, was sich ein Lehrstuhlinhaber für Data Science an der HAW in Darmstadt so wünscht für seine Studis, wie er sie liebevoll nennt. Jetzt heißt es Mentalitätswechsel. Achtung!
„So stelle ich mir die zukünftige Arbeitsweise im Data Science Bereich vor.“ Nämlich, dass die jungen Leute im Unternehmen ein Budget bekommen, mit dem sie selbst entscheiden sollen, was sie sich zur Problemlösung zukaufen müssen. Für eine temporäre Zeit vielleicht eine Cloud-Umgebung anmieten? Das wäre, nach Döhrings Meinung, eben nicht nur so eine kleine Minianpassung, sondern das sei ein echter und wichtiger Mentalitätswechsel, bei Hochschulen und Studis zugleich.
Nicht mit fettem Rechner zufrieden geben
„Leider herrscht bei Studis immer noch so ein bisschen der Gedanke vor, dass ich im besten Fall einen schönen Laptop krieg und ich mich ansonsten mit nichts zu beschäftigen brauche. Also das wird so nicht mehr funktionieren, gerade im Data-Science-Bereich nicht mehr.“
Und er appellliert an die Hochschulen, sich im Data Science mal Gedanken darüber zu machen, wie die Infrastruktur bereitszustellen sei. „Die Unternehmen geben uns zu verstehen, dass die Studis ein bisschen mehr auch in die Denkweise der Virtualisierung kommen müssten. Dass sie lernen sollen, ein Datenproblem selbstständig zu lösen. Dass sie sich nicht irgendwie mit einem fetten Rechner unter dem Tisch zufrieden geben sollen, den sie Tag und Nacht irgendwie zum Glühen bringen. Sondern dass sie lernen sollen zu entscheiden. Sie sollen mit zugeteiltem Budget selbstständig arbeiten und sich dem Problem hingeben.“
Döhring ist ein Mann mit Visionen, ein Kämpfer für seine Student’innen. Er will sie auf diese Anforderungen vorbereiten. Denn sicher ist er sich einer Sache: Diese geforderte Selbstständigkeit werde definitiv kommen. Vielleicht nicht Jetzt und heute oder übermorgen. Aber wir sehen ja an Corona, wie er sagt, dass sich einige Dinge durchaus urplötzlich beschleunigen können. Man wisse nie, was morgen gefordert wird.