Hier, beim Deutschen Wetterdienst (DWD), stehen Supercomputer, die Künstliche Intelligenz genau eben nicht anwenden, um alle drei Stunden weltweit Wetterprognosen zu erstellen. Richtig gelesen. Es gibt sie noch, die letzten Refugien, die ohne künstliche Intelligenz auskommen. Wir wollten einmal wissen, wo diese Inseln der Glückseligkeit sind.
Was den Eingeweihten verständlich klingt, wirkt auf Laien seltsam. Gerade der DWD müsste doch eigentlich prädestiniert sein für KI Applikationen. Bei den Datenmengen, die er täglich, stündlich und minütlich verarbeitet: 30 Terabyte pro Tag werden da produziert. In die Systeme fließen Daten aus allen möglichen Beobachtungssystemen ein wie Satelliten, Flugzeugen, Bodenstationen, Radaren und aus fast allen mitteleuropäischen Radarnetzwerken. Aber auch die im Rahmen der World Meteorological Organization (WMO) in Genf riesigen Mengen an global gesammelten Wetterdaten werden an den DWD zur Verarbeitung verteilt und fließen in seine Berechnungssysteme ein.
Das ist die Praxis, nun zur Theorie
Aus all dem berechnet der DWD das globale Wetter. Wie gesagt, alle zwölf Stunden für 7 Tage global (und höher aufgelöst über Europa) im Voraus, alle 6 Stunden rechnet er für bis zu 45 Stunden im Voraus und alle 3 Stunden für 24 Stunden (hochaufgelöst über Deutschland).
Rund 80 Kolleginnen von Prof. Dr. Roland Potthast sind damit in Offenbach am Main beschäft. Potthast ist der Leiter der Datenassimilation beim DWD. Potthast ist auch Professor für Mathematik an der Universität Reading in England, hat im Bereich Mathematik der Neuro-Wissenschaften und Informatik geforscht und kann dementsprechend das Thema künstliche Intelligenz differenziert bewerten. Er ist zudem Physiker, aber das tut jetzt erst mal nichts weiter zur Sache.
Bleiben wir beim Wetter. „Wir arbeiten nicht mit künstlicher Intelligenz im engeren Sinne. Die Verfahren, die wir anwenden, gibt es eigentlich schon seit den 1960ern.“ Die seien natürlich schrittweise weiterentwickelt worden – ja, man könne da sogar von einer stillen Revolution sprechen.
Solche massiven neuronalen Netze, die der DWD bräuchte, könne man gar nicht trainieren. Potthast arbeitet mit den klassischen Modellen, denen selbst neue KI-Algorithmen noch weit unterlegen seien, „also wir kommen da noch nicht mal ansatzweise an irgendwas ran. So komplexe neuronale Netze gibt es nicht. Die kann man aufsetzen, aber die zu trainieren und auf sinnvolle Weise zu nutzen, ist bisher unmöglich.“ Die Systeme beim DWD setzen die Meteorologie und Physik des Wetters direkt in Gleichungen um, welche dann der Großrechner löst. „Das ist meistens genauer und nachhaltiger als eine Approximation durch KI.“
Aber die beschriebene Insel der angeblichen Glückseligkeit, wo die KI noch nicht Einzug gehalten hat, gibt es so natürlich nicht. Denn Potthast sieht sehr wohl Einsatzfelder für sie beim DWD. So ist der gerade dabei, intern ein Zentrum für KI in der Wetterforschung zu etablieren. So zum Beispiel bei der Berechnung von bestimmten Elementen der Vorwärtsoperatoren, um Satellitenbeobachtungen zu modellieren. Da könne die KI die Kompressionsraten verbessern, um die Bandbreite der Phänomene oder die Präzision der bereits verwendeten Algorithmen zu steigern.
Und im Bereich der sogenannten physikalischen Parametrisierung sieht Potthast auch Einsatzmöglichkeiten von KI. Stichwort: Modellierung des komplexen nichtlinearen Effekts von Tröpfchenzahlen innerhalb der Wolkenmikrophysik. Damit können man die Wolkenbildung besser einordnen, um noch besser zu verstehen und zu modellieren, wie Wolken entstehen und wie sie dann wieder zurückwirken auf Temperatur, Druck, Winde und so weiter.
Aber auch das große und umfangreiche Gebiet der Beobachtungsfehler sieht er mit KI in starker Entwicklung. Diese Fehler entstünden oft durch sehr komplexe Abhängigkeiten zwischen vielerlei Prädiktoren wie Tageszeit, Sonnenwinkel, Luftdruck, Ort innerhalb des Jahreszyklus und Bewölkung. „Da kann uns die KI neue Ansätze für die Qualitätskontrolle und bei der Einschätzung des Fehlerverhaltens bieten.“ Künstliche Intelligenz diene aber auch zur Optimierung von Model Output Statistics, also um die Modelle zu korrigieren. Hier sieht Potthast einen großen und geradezu „klassischen“ Anwendungsbereich künstlicher Intelligenz, bei dem eine sehr positive Entwicklung vorgezeichnet ist.
System lernt aber schon jetzt
Warum ist der DWD eigentlich so entspannt, wenn es um den Einsatz der KI geht? Verschlafen scheinen doch diejenigen zu sein, die sich weigern, KI zu nutzen. Die Antwort liegt in diesem Satz: „Wir arbeiten bisher nicht mit Künstlicher Intelligenz im engeren Sinne. Die Verfahren, die wir anwenden, gibt es eigentlich schon seit den 1960ern.“ Um das besser zu verstehen, greifen wir uns den Aspekt des Lernens heraus, der ja ausschließlich der KI zugeordnet wird.
Falsch ist das. Denn beim DWD lernen die Algorithmen schon seit mehr als 50 Jahren selbst. Beispiel Bias-Verhalten bei Messstationen. Man lernt den Bias von Satellitenmessungen. Oder als neuere Entwicklung lernt das System, ob eine Station am Berghang steht oder in einem Tal und rechnet das automatisch in die Prognose rein oder raus. „Es lernt, wie es das zu korrigieren hat.“ Und zwar schon bei der Verarbeitung der Beobachtungsdaten, also bevor das Rechnen der Vorhersage überhaupt begonnen hat; danach lernt es auch weiter. Heute kommen moderne KI Algorithmen dazu und ergänzen oder verbessern, was schon lange in klassischer Weise gemacht wird. „Die stille Revolution geht weiter.“
Ist Potthast darauf stolz? Ja. Ist er. Die Phase „Nach-dem-Rechnen“ erläutert er sehr detailliert, fast verfällt der Professor für Mathematik in eine System-Schwärmerei. Die Phase „Nach-dem-Rechnen“ charakterisiert der Fachmann als Post-Processing. Das sei mittlerweile – natürlich beruhend auf der Qualität der Vorhersage selbst – so dermaßen gut, dass es inzwischen kaum mehr geschlagen werden kann. So so. Wer könnte ein Post-Processing denn schlagen wollen, Herr Potthast? Er: „Es gibt immer mal so Wettbewerbe. Da dürfen quasi Hobby-Meteorologen versuchen, die Vorhersagen zu verbessern. Es gibt zehn Situationen und die Teilnehmerinnen müssen zehnmal vorhersagen. Dann wird geschaut, wer im Mittel besser war. Es ist schwer oder unmöglich! Wenn ein Mensch das System zehnmal schlagen soll, ist das System immer besser. Das ist genauso als würde ein normaler Mensch einen Schachcomputer schlagen wollen: das geht nicht.“
Was ist bloß aus ihm geworden?
Nun drängt sich uns was auf. Die Frage, was aus dem guten alten Metier der Meteorologie geworden ist? Ist Potthast am Ende ein Leiter einer Entwicklungsabteilung, die einen Supercomputer mit selbstlernenden Algorithmen füttert? Ja, bestätigt er. So könne man das subsumieren. Von diesem Rechner in Offenbach am schönen Main kommt irgendwie alles. Auch die Warnwettermeldungen kommen von diesem Supercomputer.
„Auch das ist schon lange automatisiert oder zumindest teilautomatisiert. Klar, die Warnungen werden durch einen Meteorologen begutachtet. Er kann auch korrigierend eingreifen. So ein Computer ist halt eben blind. Ich meine, man kann da viele Checks und Balances einbauen, aber es ist trotzdem immer noch gut, einen Fachmann zu haben, der das so im Auge hat.“ Dennoch, die Basis kommt von einem Hochleistungsrechner.
Klar, früher haben die Meteorologen die Vorhersage selbst gemacht. Heute sorgen sie dafür, dass die Systeme entwickelt werden. Der Meteorologin ist das Geschenk einer neuen Kreativität durch die Technologie überreicht worden, findet Potthast. Er geht sogar soweit und sagt, die Arbeit sei höherwertiger geworden. Meteorologen müssten nämlich wissen, wie es zum System des Rechnens und den Modellen komme, wo dessen Schwächen lägen und, was viel wichtiger sei, was das System eben gar nicht leisten könne und wie man es weiterentwickeln könnte.
Eine Mammutaufgabe?
Wahrscheinlich. Bedenkt man, dass ganz Deutschland alle zwei Kilometer mit virtuellen Punkten versehen ist, deren wetterrelevante Daten in das besagte Modell einflössen. Ein solches hochaufgelöstes Modell-System habe natürlich Schwächen und zwar genau zwischen den 2 Kilometern. Da ist nichts, es wird nur ein grobes Mittel der Effekte berücksichtigt. Und die Meteorologin kennt eben diese Lücken und kann quasi für sie sprechen und sie ausfüllen, gespeist aus ihrer Erfahrung. Was in diesen Lücken vor sich geht, kann also nur der Mensch beurteilen. Begreifen wir den Meterologe also ruhig als sachten Lotsen, der jederzeit eingreifen kann und uns immer durch die Stürme unseres Wettergeschehens navigiert.
Und zum Schluss ein AHA-Erlebnis. Eine Revolution. Die Systeme haben pro Dekade einen Tag an Verlässlichkeit dazu gewonnen. Pro Jahrzehnt hat sich der DWD in seiner Genauigkeit so perfektioniert, dass es möglich ist, fünf Tage so sicher vorherzusagen wie vor 50 Jahren einen Tag. Und was halten Sie denn von Wetterapps auf Smartphones, Herr Potthast? „Die werden vom Supercomputer gefüttert. Sie sind so verlässlich als würden Sie sich als Laie anschicken, Wetter prognostizieren zu wollen.“ Er sagt aber auch: „Die Systeme sind sehr unterschiedlich. Besser vergleichen Sie sie miteinander.“
Danke an die Pressestelle des DWD, ohne die dieses Gespräch nicht möglich geworden wäre. Und selbstverständlich ein großer Danke an Professor Potthast für seine Zeit!
2 Comments
Sehr interessanter Beitrag und wirklich angenehm und verständlich geschrieben! (Kurzes Lob an die Autorin :)!)
Es ist wirklich spannend zu sehen, wie komplex eigentlich simple Dinge, welche wir alltäglich verwenden, sei es mit einer einfachen Wetter App am Handy, sind und das gerade dort wo man KI erwartet, das meiste noch mit guten alten Algorithmen funktioniert.
Hi Alexander, vielen Dank für das Lob !!!