Die Deutsche Bahn ist ein Konzern, der Menschen und Güter von A nach B bringt. So banal das klingen mag, so ideal, um Künstliche Intelligenz (KI) noch besser zu verstehen und vor allem, um ihre gesellschaftliche Bedeutung zu begreifen. Daher sprachen wir mit Thomas Thiele, also mit dem, der die KI für die Deutsche Bahn vorantreibt und gleichzeitig Beiratsmitglied im Verein AI Frankfurt Rhein-Main e.V. von Peter Feldmann ist. Der Mobilitäts- und Logistikriese hat wohl die Dringlichkeit erkannt, klassische Bahntechnik mit neuen Technologien zu optimieren.
Dr. Thomas Thiele ist Maschinenbauer. Er hat an der RWTH Aachen studiert und promoviert. Wenn er über KI spricht, kann man aus seinen Worten erahnen, woher der Mann kommt: aus der anwendungsorientierten Forschung. Diese Domäne hat er nun hinter sich gelassen. Er will bei der Deutschen Bahn die Technik der Eisenbahn smart machen. Denn die habe durchaus noch Komponenten, die 180 Jahre alt seien – auch wenn die konkreten Bauteile natürlich neuer sind.
Thiele ist Pragmatiker durch und durch: „Die Lesart ist die, dass die KI für die DB ein Werkzeug ist. Wir sind nicht Google oder Amazon. Wir sind ein Konzern, der Menschen und Güter von einem zum anderen Ort transportiert, ein Heavy-Metal-Konzern, ganz plakativ gesagt.“ Und KI sei bloß ein Werkzeug, mit dem die Bahn ihre Kernaufgaben noch besser erfüllen könne. Das ist aber keinem Spieltrieb geschuldet. Sondern einzig und allein der Tatsache, dass der Verkehr bisher stark zugenommen hat. „Wir haben in den letzten Jahren kontinuierlich steigende Fahrgastzahlen im Fernverkehr verzeichnen können und gehen auch perspektivisch wieder von steigenden Zahlen aus“, beschreibt er die Situation auf der Schiene.
Und all das bezeichnet Thiele als die zentrale Motivation für sein Handeln als KI-Experte gemeinsam mit dem DB-Vorstand. Thiele findet übrigens, dass es sich bei der ganzen Thematik um eine gesellschaftliche Entwicklung mit einfachem Knackpunkt handele. „Wir reisen immer mehr. Gleichzeitig steigt das Ökologiebewusstsein. Als klimafreundlichstes Verkehrsmittel profitiert die Bahn natürlich davon, muss aber gleichzeitig sehr schnell sehr viel mehr Kapazität schaffen.“
Die Bahn ist also trotz aller Unpünktlichkeiten dennoch eine adäquate Option? Scheint so. Doch wie will Thiele das in Einklang bringen mit der bereits sehr ausgelasteten Infrastruktur der Bahn? Nicht die Schienennetze können ins Unendliche ausgeweitet werden, nicht die Anzahl ihrer Fahrzeuge ist maßlos zu erhöhen. „Natürlich bauen wir beides sukzessive aus. Am Ende des Tages sind das aber alles Dinge, die mehrere Jahre und Jahrzehnte in Anspruch nehmen, besonders der Ausbau der Infrastruktur ist ein langfristiges Unterfangen.“
Und diesem Trägen steht hier jetzt etwas Schwungvolles gegenüber, inkorporiert in Künstlicher Intelligenz. KI sei Dank, denn „die verspricht uns einen kurzfristigeren Gewinn. Die Zeitskala, auf der wir realisieren können, ist durchaus kürzer.“
Da fragen wir uns, wie das in der Praxis aussehen soll - und werden angenehm überrascht. Denn Thiele packt ein schönes Beispiel aus. Nämlich die Reisendenapp, den sogenannten DB Navigator, den wir alle kennen. Sie nutzt nämlich seit rund zwei Jahren Machine-Learning-Verfahren, also KI-Methoden. Im Hintergrund arbeitet ein Prognoseverfahren, um die Pünktlichkeit der Züge zu ermitteln. Sichtbar ist es für die Reisenden nur mittels einer kleinen Verspätungsanzeige in der Bahn-App. Sonst bemerkt man diese KI gar nicht. Aus der Norm basierten Prognose ist nun ein KI-basiertes Vorhersageverfahren geworden.
Und wir dachten schon, die Bahn schickt sich an, womöglich die Fahrgastzahlen oder die Zugauslastung mit KI zu prognostizieren. Thiele lacht: „Wir haben zwar ein sehr buntes Portfolio an verschiedenen Usecases, die wir gerade implementieren. Doch Fahrgastzahlen zu prognostizieren ist wie Börsenkurse vorherzusagen. Es wäre klasse, wenn das möglich wäre, das unterliegt aber auch gesellschaftlichen Einflüssen und damit teilweise unvorhersehbaren Ereignissen, wie wir in den letzten Monaten gemerkt haben.“
Angekommen! Beim nächsten Thema: Wertschöpfungskreisläufe
Zudem verwasche in Deutschland gerade die Fokussierung auf das Auto als Kulturkomponente. Auch die Automobilindustrie befinde sich im Umbruch. Doch Stopp: Sind die Menschen deshalb weniger unterwegs? Nein! Und trotzdem müsse man als Bahn darauf irgendwie reagieren. Und das tue die DB mit KI. „Und genau deshalb hat die DB bereits mehrere KI-Vorhaben auf den Weg gebracht“, sagt Thiele.
Was denn zum Beispiel noch? Bei der Verkehrsdisposition erprobt die Bahn Verfahren von Künstlicher Intelligenz, namentlich die des Reinforcement Learnings. Und da, wo der Verkehr auf bestimmte Situationen auszurichten sei, wo oftmals in kurzer Zeit situativ entschieden werden müsse, sei KI ein Mittel der Wahl. Über ihre Verfahren kann dann ein Mehr an Kapazitäten und Fahrzeugen auf die Schienen gebracht werden. Und damit reagiere der Konzern auf die insgesamt steigende Komplexität im Verkehr, der mit neuen Werkzeugen steuerbar bleibe.
Auch diese Werkzeuge werden mit KI flott gemacht, indem alle möglichen Prozesse des Unternehmens miteinander verbunden werden. Da stehe der integrierte Blick an oberster Stelle. „Die Fahrzeuge, die wir durch KI mehr auf die Schiene bekommen wollen, müssen ja erst mal überhaupt verfügbar sein. Also müssen wir uns in diesem Zusammenhang auch das Thema Instandhaltung anschauen. Und auch da bieten KI-Verfahren Ansatzpunkte zur Diagnose und Verkettung von Prozessen. So dass wir sagen können, dass Daten, die die Fahrzeuge übermitteln, ausgewertet werden können, um deren Zustand und auch deren Komponentenausfälle ex ante vorauszusagen.“
Herr Thiele, das alles riecht danach, als sei KI ein Mannschaftssport?
„Das ist sehr richtg! Und weil das so ist, wollen wir auch an Netzwerken partizipieren wie dem Verein AI Frankfurt Rhein-Main e.V., den die Stadt Frankfurt ins Leben gerufen hat. Die Deutsche Bahn hat eine Sonderstellung in der Konzernlandschaft, weil wir staatseigen sind. Damit ist für uns die Versorgung mit Mobilitäts- und Logistikangeboten natürlich sehr zentral. Wir wollen Teil solcher Netzwerke sein, um eine Mobilität anzubieten, die wir gemeinsam mit der Stadt entwickeln. Der Verein bietet uns den interdisziplinären Austausch über den eigenen Tellerrand hinaus. Wir alle, also Vertreterinnen aus Wirtschaft, Politik und Forschung möchten Perspektiven entwickeln und natürlich auch gemeinsam neue Dinge auf den Weg bringen. Ich denke, dass eine Stadt wie Frankfurt uns da durchaus als Testfeld für die Liveerprobung neuer Verfahren dienen kann. Das halte ich für sehr spannend und hat mich veranlasst, dem Ruf in den Beirat zu folgen.“
Vielen Dank für das Gespräch, Thomas Thiele!