Wenn Ranga Yogeshwar eine Meinung über ein Thema in der Öffentlichkeit vertritt, gehört es irgendwie zur gesellschaftlichen Pflicht, hinzuhören. Nicht nur, weil er das Talent des wissenschaftlichen Sprechgesangs besitzt. Sondern auch, weil er eines nie tut. Der Physiker polarisiert nicht. Er versucht, alle Ansichten über eine Sache wissenschaftlich zu vereinen. Seinen Zuhörerinnen ist Wissensgewinn deshalb gewiss. Seine Haltung zur Künstlichen Intelligenz (KI) ist ein hübsches Beispiel für dieses selten gewordene rhetorische Stilmittel, das er anwendet.
Im Juni vergangenen Jahres wagte er nämlich im Schweizer Fernsehen den Blick in die Zukunft. Er postulierte die KI als Inkubator für ein neues Miteinander. Damals sprach er im Rahmen einer Sendung mit dem Titel: Was bringt die Zukunft? Lediglich bezog sich dieser Titel auf die Rolle von der vermeintlich neuen Technologie namens KI.
Juni – das waren noch Zeiten. Ach, was war die Welt da noch in Ordnung. Da war kein Virus in Sicht. Andere Themen beherrschten unser gesellschaftliches Gefüge: Es ging um Klimawandel, Führungsspitzen, Verteidigungsministerinnenskandale, E-Auto ja oder doch nicht, Übernahme durch Künstliche Superintelligenzen oder Orkane über Deutschland. Heute sind das schöne Nebensachen. Wir würden uns freuen, hätten wir nur diese als Impulse für eine wie auch immer geartete öffentliche Empörung.
Danke sagen, nicht Konsumieren
Ist diese Gemengelage nicht Anlass genug, um mit Ranga Yogeshwar noch einmal zu reflektieren, wo wir heute stehen? Das Virus zwingt uns zu einem Perspektivwechsel. Ist ES wohl am Ende der Inkubator für ein anderes Miteinander und nicht mehr Technologien wie auch immer sie heißen? Zumindest ist trotz Social Distancing schon jetzt festzustellen, dass sich Menschen zu einer nie geahnten Nähe aufmachen. Die Jungen kaufen für die Alten ein, Balkone werden zur DJ-Bühne für ganze Stadtviertel, Philharmonien geben kostenlos übers Netz Konzerte, Werbespots rufen zum Danke sagen und nicht zum Konsumieren auf, in Firmen skypen die Mitarbeiterinnen um die Wette, um in ihren Home-Offices nicht den Anschluss zu ihrer Workingpeergroup zu verlieren. Ein nie geahntes Zusammengehörigkeitsgefühl macht sich überall breit. Aber auch philosophische Gedanken scheinen sich den Weg über tiefsinnigere Gespräche zu bahnen.
Herr Yogeshwar, erwartet uns ein neues System, steht eine neue Gesellschaft in den Startlöchern, was glauben Sie? „Das wäre schön. Ich glaube, danach werden sich der Ein oder die Andere mal fragen, ob sie Dies oder Das nicht vielleicht anders machen sollten. Ich glaube aber nicht, dass die Krise jetzt der große Turning- Point ist.“
Was veranlasst Sie zu dieser These? "Krisen sind auch immer ein Stresstest für ein etabliertes System. Das ist so, als würden Sie gegen einen Schrank treten. Steht das Porzellan nicht stabil, dann geht so manches zu Bruch."
Das sehen Sie gerade in Bezug auf Firmen? "Viele Unternehmen operieren ohnehin am kritischen Ende. Bei einer Störung wie dieser kollabieren sie nun tatsächlich. Das sehen wir jetzt. Wenn sich Unternehmen schon nach drei Wochen Aus das Genick brechen, deutet das nicht auf eine stabile innere Struktur hin."
Yogeshwar selbst stehe vor dem totalen Ausfall, wie er sagt. Er gehöre zu der Gruppe, auf die all das am meisten zutreffe. „Aber dadurch, dass ich stabil aufgestellt bin, werde ich auch diese Zeiten überstehen.“ Dass er so gut dasteht, hat vielleicht auch etwas mit seiner Berühmtheit zu tun. Könnte man meinen, wenn man ihn nicht kennt. Doch der Wissenschaftsjournalist hinterfragt auch sich sehr kritisch. Er vergleicht sich sogar mit einer Produktionskette. „Meine Gleichung lautet eben nicht: maximale Effizienz bei minimalsten Kosten. Wenn man keine Lager mehr hat, kann man auch nicht auf Vorrat produzieren. Wir waren ja stolz auf die globalen Lieferketten, gerade die Just-in-Time-Delivery Erkenntnisse wurden abgefeiert. In einem stabilen System macht das Sinn. Aber, wenn da irgendwas passiert, reagieren alle Märkte empfindlich und stehen auf dem Trockenen.“
Welche Erkenntnisse sollten wir daraus ziehen? „Im Kontext von Krisen sollten wir manchmal die Dinge neu priorisieren. Schaut man sich Schlagzeilen von vor fünf Wochen an, was da angeblich so wichtig war und setzt das in den heutigen Kontext, dann kann man nur noch mit dem Kopf schütteln. Da wurden in den Medien Themen hochgekocht, die jetzt nicht mehr existieren. Das interessiert jetzt keine Socke mehr.“
Sie meinen, dass jetzt ganz andere Dinge wichtig werden? „Covid-19 ist eine Pandemie, die am Ende auch jedem noch einmal klar macht, dass er endlich ist. Dass er sterben könnte. Auch, wenn das real für die große Mehrheit nicht der Fall ist. Dennoch: Niemand ist bisher von seinem Totenbett aufgestanden und hat gesagt, hätte ich doch noch etwas mehr Zeit, um noch mehr zu arbeiten. Das ist so ein Windzug einer Vorahnung, den wir da grade erleben. Man sollte sich mal fragen: Was machen wir hier eigentlich?
Mehr Empathie für andere Länder könnte eine Konsequenz sein. Und er verweist auf die rund 400.000 Malariatoten. „Die haben wir ignoriert. Im Vergleich dazu ist Covid-19 Peanuts, aber die ganze Welt gerät in Panik. Jetzt sollte man sich mal in die Lage der anderen versetzen, wo man sich auch mal fragen muss: Hey, machen wir eigentlich genug für die?“
Was bleibt übrig? „Es gibt leichte Beispiele, wo ein Nachhall bleibt. Aber meine Erfahrung aus anderen Krisen ist, dass aus einer anfänglichen Hysterie oder einer Überreaktion sehr schnell Verdrängung wird.
Und im Business? „Da sehe ich großartige Chancen. Zum Beispiel beim Thema Digitalisierung im Kontext der Bildung. Das war ja immer ein ziemlich lahmer Hund. Man musste die Leute wach küssen, bis da irgendetwas passierte. Und schlagartig haben wir jetzt eine Situation, wo sehr viele Menschen merken, dass es noch viele andere Optionen gibt, die wir nutzen könnten.
Was erhoffen Sie sich aus dieser Krise, was wäre ihr Wunsch? „Ich hoffe, dass diese Krise so schonend wie möglich beendet wird. Danach erhoffe ich mir, dass wir uns Gedanken über die Stabilität unseres Systems machen. Wenn nämlich ein Virus dafür sorgt, dass die Aktienindizes schlagartig so in den Keller gehen, muss man sich mal fragen, auf welcher Grundlage das alles steht. Der nächste Punkt ist die Frage, wie wir mit Ängsten umgehen. Denn Angst ist immer gefährlich, auch im Überziehen von staatlichen Maßnahmen. Es wäre ja ein Leichtes, alle Handydaten zu evaluieren. Zu schauen, wer das Haus verlässt und wer nicht. Aber unsere Bürgerrechte dürfen wir dennoch nicht über Bord werfen – das geht nicht und das müssen wir uns für danach merken.“
Auch in unserem Gespräch hat Yogeshwar den Blick in eine Zukunft gewagt. Verbindend und verständlich wie wir ihn kennen. Er findet übrigens, dass die so genannten neuen Technologien wie die eingangs erwähnte KI wieder in weite Ferne rücken. Weil, ja weil wir alle gerade andere Probleme haben. Dennoch ist Yogeshwar ein Verfechter von allem Neuen und von allem Inspirierendem. Nun setzt er aber erst mal auf die gute alte Kommunikation als gesellschaftlichen Stabilisator.
Wäre Covid vor 50 Jahren passiert, hätten wir eine deutlich beklemmendere Situation. Aber Covid ist jetzt. Und jetzt kommunizieren wir digital per Chats, Facetime oder was auch immer. Unsere Gedanken können wir weiterhin teilen, wir können trotz Isolation in die Gesichter unserer Freunde schauen. Das ist was anderes als zu Hause zu sitzen und auf den schwarzen Tod wie im Mittelalter zu warten, wenn er an die Tür klopft.
Danke Ranga Yogeshwar für dieses inspirierende Gespräch!