Erst kürzlich habe ich mich mit Thomas Gartzen, Geschäftsführer des European 4.0 Transformation Center, unterhalten. Dabei ging es neben Innovation Labs auch um Change Management und darum, wie sich ein analytischer Ansatz in Unternehmen umsetzen lässt.
Andreas Gödde: Thomas, kann man sagen, dass jetzt alle Unternehmen Softwareunternehmen sind?
Thomas Gartzen: Gewissermaßen ja. Produzierende Unternehmen arbeiten über die Herstellung von Produkten hinaus daran, auch zunehmend Dienstleistungen anzubieten. Die Herausforderung stellt sich aber dann, wenn sich Softwareunternehmen mit Herstellern zusammentun, die Neues ausprobieren und Services über eine App anbieten wollen. Denn Fertigungsunternehmen müssen den jeweiligen Anwendungsfall ganz klar definieren – Softwareunternehmen fehlt dieses Fachwissen meist. Das heißt, es geht vor allem darum, welche Tools der Hersteller braucht, und welche relevanten Fragen ihn bei der täglichen Arbeit beschäftigen.
Gödde: Können Sie hierfür ein Beispiel nennen?
Gartzen: Mal angenommen, ich bin ein Amazon-Kunde. Das ist ein sehr einfacher Fall, denn jeder kann nachvollziehen, wie ich mich online beim Einkaufen verhalte. Mit einem sehr simplen Service, der auf Analytics basiert, kann man mir hier einen Mehrwert bieten. Aber wenn ich an einen Einkäufer, Einsatz- oder Produktionsplaner denke, ist das schon schwieriger – hier fehlt das spezifische Fachwissen. Deshalb ist es wichtig, zunächst dieses Wissen und dann erst die Tools zu erarbeiten, die Fachkräfte bei ihren täglichen Aufgaben brauchen. Und nicht zu vergessen der zweite Schritt: Wie muss ich diese Daten verarbeiten, um aus ihnen Erkenntnisse zu gewinnen?
Gödde: Was sind Ihrer Ansicht nach die größten Herausforderungen, wenn Unternehmen Analytics einführen oder die Digitalisierung vorantreiben wollen?
Gartzen: Ich denke, die größte Herausforderung liegt darin, die richtigen Daten zu finden und sie dann zu verarbeiten. Manche Unternehmen haben bereits einen riesigen Datenpool in ihren Systemen, wissen aber nicht, was sie damit anfangen sollen: Bewegungsdaten in den ERP-Systemen, Konstruktionsdaten inklusive Historie in den PLM-Systemen oder Daten aus den Werkshallen in den MES-Systemen. Sie sind nicht zwangsläufig komplett unstrukturiert – nur wissen Unternehmen eben nicht, wie sie ihre Daten angehen sollen.
Gödde: Wie kann man diese Herausforderungen bewältigen?
Gartzen: Erfahrungsgemäß ist es am besten, die Digitalisierung auf zwei Ebenen anzugehen – wir nennen das die „Gegenstrom-Verfahren“: Die erste Ebene ist strategisch und top-down, denn es macht keinen Sinn, eine digitale Transformation umzusetzen, wenn sie vom Top-Management keine Unterstützung erfährt oder sogar unerwünscht ist. Die Führungsetage muss das Thema aufgreifen, ein strategisches Programm erarbeiten und herausstellen, was Digitalisierung für das Unternehmen bedeutet und wo die zukünftigen Ziele liegen. Wir nennen es Gegenstromverfahren, weil man auf der anderen Seite einen Bottom-up-Prozess braucht: kleine Pilotprojekte und Anwendungsfälle, die zu einem realisierbaren - neudeutsch - Minimal Viable Product führen. Ich denke, es ist wichtig, auf diese Weise Erfahrungen zu sammeln und so das Ganze kleinschrittig und agil anzugehen. Konkret heißt das also: mit ersten Pilotprojekten starten und Bereiche auswählen, in denen die Technologie Sinn macht und sich Anwendungsfälle definieren lassen.
Gödde: Braucht die Digitalisierung ein Riesenbudget?
Gartzen: Nein, es ist absolut keine Budget-Frage. Kleinere und besser steuerbare Pilotprojekte liefern schnelle Ergebnisse und damit Vorteile für das Unternehmen und die Abteilung. Ohne viel Zeit oder Energie zu investieren, lässt sich schnell feststellen, welche Ansätze erfolgreich sind und welche nicht – und diejenigen, die funktionieren, können ausgebaut und erweitert werden. Parallel dazu verändert sich so auch die Unternehmenskultur Schritt für Schritt mit. Das ist sicherlich nicht einfach – aber es ist machbar.
#Digitalisierung ist absolut keine Budget-Frage! #Innovation #Analytics Click To TweetGödde: Wie kann man diese Art von Innovation aus Pilotprojekten im Unternehmen verankern?
Gartzen: Bei E4TC haben wir natürlich den Vorteil, dass wir eine echte Produktionsumgebung haben. Deshalb finden unsere Entwicklungen sehr nah an realen Unternehmensprozessen statt – wir müssen sie also nicht erst aus der Laborumgebung in die Produktion überführen. Und diesen Ansatz sollten Unternehmen nutzen: Sie sollten alle Schritte so realitätsnah wie möglich testen. Fangen Sie lieber klein an als unter künstlichen Bedingungen – so wissen Sie gleich, was in der Praxis funktioniert.
Gödde: Vielen Dank, Thomas.
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