Als ich neulich mal wieder auf der Autobahn unterwegs zu einem Kundentermin war, habe ich im Radio einen Beitrag gehört, der mich stutzig machte und zum Nachdenken brachte. In dem Beitrag ging es darum, dass eine Fitnesskette demnächst das größte Fitnessstudio der Welt in Deutschland eröffnen will. Und der Clou dabei – das Trainieren soll umsonst sein. Statt eines Monatsbeitrags zahlt man ganz einfach mit seinen Daten.
Als Mitarbeiter eines Softwareherstellers für Datenanalyse schossen mir gleich viele Fragen durch den Kopf: Wie läuft das ab? Was ist mit dem Datenschutz? Wie verändert sich dadurch der Besuch im Fitnessstudio? Was sind meine Daten wert, und was passiert damit? Wie refinanziert die Kette sich durch meine Daten? Und, und, und.
Im Folgenden wurden sogar die meisten meiner Fragen ansatzweise beantwortet. So plant die Kette, direkt personenbezogene Daten nicht weiterzuverkaufen. Trainingsergebnisse und ähnliche Auswertungen von Gesundheitsdaten sollen jedoch schon kommerziell genutzt werden, zum Beispiel durch gezielte personalisierte Werbung im Fitnessstudio oder bei Werbeevents. Sicher sind diese Daten auch für andere Unternehmen wie Krankenversicherungen oder Arbeitgeber interessant, um z. B. zu sehen, ob ein Kunde/Mitarbeiter aktiv etwas für seine Gesundheit tut. Einen ähnlichen Weg geht u. a. die Generali Versicherung heute schon. Sie belohnt ein gesundes Leben mit Rabatten auf Risikolebens- oder Berufsunfähigkeitsversicherungen, wenn man einen entsprechenden Telematik-Tarif abschließt. Telematik bedeutet vereinfacht, dass entsprechende Daten vom Kunden an den Versicherer übermittelt werden, z. B. durch Fitnesstracker oder Smartphones.
Würde ich selbst so einen Vertrag abschließen, um kostenfrei trainieren zu können, und dafür meine Daten preisgeben? Ich bin noch skeptisch, frage mich aber zugleich, warum. Schließlich gibt man schon heute ohne großes Nachdenken jede Menge Daten über sich preis, z. B. bei Google, Facebook, WhatsApp und Co. Kommt meine Skepsis etwa nur daher, dass das Preisgeben meiner Daten dann nicht mehr in der virtuellen, sondern in der realen Welt passieren würde?
Amazon, Google, Facebook und Co. haben es über das Sammeln von Daten geschafft, viel Wissen über ihre Nutzer zu generieren, und darüber eine Vielzahl von Angeboten realisiert. Über diesen Weg ist es Google zum Beispiel gelungen, vom reinen Suchmaschinenanbieter zu einem vielgenutzten Plattformanbieter zu mutieren, der noch mehr Daten sammelt und noch mehr Wissen über seine Nutzer gewinnt. Bei Amazon ist es ähnlich. Ursprünglich als Online-Bücherversand gestartet, wird Amazon heute bedenkenlos für ganz unterschiedliche Dinge genutzt. Regelmäßig kaufen wir beim größten Versandwarenhaus der Welt ein, und wie selbstverständlich speichern wir Daten in der Amazon-Cloud oder nutzen als Prime-Kunden das integrierte Musik- und Videoportal. Hier haben die Amazon-Eigenproduktionen zum Teil sogar schon Kultstatus erlangt und laufen Hollywood-Produktionen den Rang ab. Basierend auf dieser Marktmacht erwägt Amazon aktuell sogar den Einstieg in die Versicherungsbranche. Die Spirale dreht sich also weiter.
Versicherungsschutz kostenfrei gegen Daten, Plattformanbieter werden für Finanzen, Versicherung und darüber hinaus – wären solche Dinge auch in der Versicherungsbranche denkbar oder gibt es sie bereits? Zumindest in Richtung Plattform und Telematik gibt es einige Tendenzen. Versicherer bieten ihren Kunden sukzessive mehr Services und Tarifoptionen (in Eigenregie und Kooperation) – auch aus versicherungsfernen Segmenten – an und wollen sich so von der Konkurrenz abgrenzen, dem Kunden Mehrwerte bieten und die eigene Position verbessern. Ob dies nun eine App für den sicheren Nachhauseweg ist, ein Rabatt für umsichtiges Autofahren, die Option, alle privaten Verträge (auch Fremdverträge) im Portal meines Versicherers zu verwalten, oder Cloudspeicher über meine Versicherung zu beziehen. Die Bandbreite ist schon heute groß und die Liste lang. Aber wäre die Bezahlung einer Versicherungspolice mit Kundendaten denkbar? Wie könnte es aussehen, wenn man den Gedanken einmal durchspielen würde?
Machen wir ein Gedankenexperiment
Zumindest aktuell würde die Bezahlung einer Police mit Daten anstatt mit Euro Aufmerksamkeit bei potenziellen Neukunden erzeugen.
Um diese in einem komplizierten Antragsprozess mit jeder Menge Fragen zur Risikoeinschätzung nicht direkt wieder zu verlieren, wäre es sicher gut, einfache Antragsfragen (und davon so wenige wie möglich) zu stellen und einen möglichst einheitlichen Preis zu verlangen. InsurTech-Start-ups haben schon gezeigt, wie das aussehen kann. Wir erfahren ja während der Vertragslaufzeit noch genug über die Kundschaft, wenn sie uns ihre Daten zur Verfügung stellt. Somit bilden wir lieber ein größeres Versichertenkollektiv als jede Menge kleine und nähern uns damit wieder dem ursprünglichen Kollektivgedanken an. Als positiven Nebeneffekt würde man so auch die Kritik und den Vorwurf der Entsolidarisierung mindern.
Damit der Datenwert den künftigen Schaden-/Leistungsbedarf größtmöglich abdecken kann, versuchen wir, soweit es geht, auf Abschluss- und Verwaltungskosten zu verzichten. Das Produkt müsste also ein reines Online-Produkt sein, welches der Kunde selbst ohne große Hilfe abschließen und verwalten kann. Und für den Fall, dass doch einmal Beratung oder Hilfe notwendig ist, etablieren wir einen 1st Level Support durch Chatbots und erst danach einen 2nd Level Support durch erfahrene Versicherungsmitarbeiter.
Dann wäre noch zu überlegen, welche Daten wir vom Kunden haben möchten, wo sie herkommen und was wir damit machen. Interessant wäre natürlich alles, was uns nachhaltiges, risikobeschreibendes und monetarisierbares Wissen verschafft, die Kundenbindung erhöht und vielleicht noch einen Gamification-Faktor mit sich bringt. Mögliche Datenquellen könnten je nach Versicherungsprodukt Fitnessarmbänder oder andere Wearables, Connected Cars, Smartphones, Smart Homes oder jeder andere Sensor aus dem IoT-Universum sein, der uns die Daten, möglichst in Echtzeit, übermittelt. Datenstreaming in Echtzeit ist vor allem dann interessant, wenn wir situationsbezogen auch in Echtzeit daraus einen Mehrwert generieren wollen, wie etwa einen zusätzlichen Service anbieten oder einen Produktvorschlag machen. Im Falle des o. g. Fitnessstudios wäre das vielleicht ein situativer Trainingshinweis basierend auf aktuellen Gesundheits- und Leistungsdaten oder eine personalisierte Werbung.
Wie mache ich Geld aus den Daten und dem damit verbundenen Zusatzwissen?
Da sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt (das macht sicher schon der Datenschutz), aber mit den entsprechenden Opt-ins und guter datenschutzrechtlicher Beratung sollte es doch machbar sein. Von zusätzlichen kostenpflichtigen Serviceangeboten über Werbung und Cross-Selling bis hin zu Verwertung im Kooperationsgeschäft ist vieles denkbar. Ob das aber am Ende tatsächlich ausreicht, um Versicherungsschutz gegen Daten auskömmlich anzubieten, vermag ich nicht zu beurteilen.
Vielleicht haben Sie ja noch eine Idee oder Anregung. Würden Sie eine solche Versicherung abschließen? Was würden Sie als Versicherer mit den Daten machen?
Ich freue mich auf Ihren Kommentar.
1 Comment
Kurz nach meinem Artikel ist folgender Artikel im Versicherungsmagazin erschienen. Auch dort geht es um Daten als das Öl des Informationszeitalters und dass Versicherungen diese Daten selbst sammeln müssen. Laut Studie "Data: Gold or Kryptonite?" von IBM und der Uni St. Gallen ist jedoch das Vertrauen der Kunden ein nicht zu unterschätzender Faktor bei diesem Vorhaben
http://www.versicherungsmagazin.de/rubriken/branche/so-wertvoll-sind-kundendaten-2025509.html?utm_campaign=2700005160&utm_medium=email&utm_source=vmnl