Wir alle müssen jetzt ganz stark sein. Und mit „wir“, da meine ich alle Vertreter der Informationstechnologie. Vom Anwender, Datenbankadministrator, bis hin zum Techniker, der das Netzwerkkabel anschließt. Wir können jetzt nämlich alle zusammenpacken und nach Hause gehen! Ja, jetzt ist soweit! Wir wurden enttarnt. Sie glauben mir nicht? Dann werfen Sie einmal einen Blick hierauf:
„Die Oxford Dictionaries haben das Wort „post-truth“ (postfaktisch) zum internationalen Wort des Jahres 2016 gewählt.
Das Adjektiv beschreibt Umstände, in denen die öffentliche Meinung weniger durch objektive Tatsachen als durch das Hervorrufen von Gefühlen und persönlichen Überzeugungen beeinflusst werde, heißt es in einem Auszug aus dem Wörterbuch."
So, oder so ähnlich, ging die Nachricht durch alle Medien. Die postfaktische Ära ist also eingeläutet. International! Das muss man sich einmal vorstellen! Gerade noch waren wir mitten in der digitalen Transformation, haben über Digitalisierung in allen Facetten gesprochen, waren also im Grunde erst mitten im Aufbau der datengetriebenen Entscheidungsprozesse, da wird uns schon der Riegel vorgeschoben. Und sogar das OXFORD DICTIONARY macht da mit!
"Man ist fassungslos", kann ich da nur sagen, um eine neuerdings recht beliebte Phrase aus den sozialen Medien zu zitieren.
Postfaktisch sind wir jetzt also. Naja, immerhin wird jetzt alles einfacher. Und ich kanns verstehen, denn wozu auch ständig die ganze Mühe machen und permanent Daten verarbeiten, prüfen, anreichern? Die Zeit kann man auch anders nutzen ab jetzt. Und die Umkehr passiert schneller als man denkt! Denn gerade sitze ich bei unserem „SAS Big Data Analytics Forum” in Wien und lausche bereits einem Vortrag über „Mentale Transformation”!
Allerhand ist das. Weil genau das wollten wir ja vor ein paar Wochen noch ablösen, das „Mentale". Weg vom Bauchgefühl, hin zu den Daten und Fakten! Aber jetzt höre ich plötzlich „Gelerntes kann ein Problem sein". Ich muss zugeben: ich bin verunsichert, verwirrt. Was soll das heißen? Was schreib ich jetzt auf meine Visitenkarte? Beziehungsweise Linkedin-/XING-Profil? Mein Studium, meine gesamte Ausbildung, meine Berufserfahrung? Das alles war etwa völlig umsonst?
Nein, natürlich nicht. Der Vortrag ist übrigens grandios. Was (frei) gemeint ist: Man soll nicht die neue Welt mit altem Wissen hinterfragen, sondern nur umgekehrt. Sagt Klemens Skibicki zumindest. Und er hat vollkommen recht damit, nach meinem „Empfinden" jedenfalls. Außerdem spricht er noch von „Netzwerkökonomie". Beeindruckend.
Wer Genaueres wissen möchte, der sollte sich dringend mit ihm in Verbindung setzen! Kann keinesfalls schaden. Kurz: Nur wer richtig hinhört, sich öffnet und aktiv am Datenaustausch mit der Welt teilnimmt, der hat überhaupt erst eine Chance, vom Netzwerk zu profitieren. Die Daten arbeiten lassen. Geben und nehmen.
Wissen, abgeleitet aus Daten, ist weiterhin Macht. Glück gehabt. Aber wie passt das jetzt mit unserem Wort des Jahres 2016 zusammen?
Keine Fakten mehr, nur noch Emotionen?
Na ja, wie soll ich sagen, es passt nicht zusammen. Ganz einfach. Weil wir definitiv in keinem postfaktischen Zeitalter gelandet sind. Ganz sicher nicht.
Trotz aller Wahlkämpfe, Social-Storms (ich drücke es mal diplomatisch aus) oder All-Felixe.
Mein Ex-Kollege und Schulfreund Robert Tischler (BARC) hat mir neulich beim Kaffee etwas wirklich Bemerkenswertes dazu gesagt – wir waren gerade mal wieder dabei über die gute alte Zeit zu schwärmen, als man mit einem „Cube" (die Non-Digital-Natives werden sich erinnern) noch wahre Begeisterungsstürme beim Kunden auslösen konnte:
„Der Begriff ‚postfaktisch‘ ist sowieso Unsinn", hat er gesagt. „Die Menschheit war bislang noch NIE richtig faktenorientiert, datengetrieben, frei von Gefühlen. Wenn überhaupt, dann sind wir immer noch PRÄfaktisch."
Ein weiser Mann, der Herr Tischler, wie auch Klemens Skibicki. Und wenn ich nun beide Theorien zusammenfüge, also die Netzwerkökonomie und den Präfaktizismus, dann wird mir schlagartig etwas klar. Wir sind von einer Social-Media-Bomben-Emotionsherrschaft, in der Andreas Gabalier beim Neujahrskonzert auftritt und Niki Lauda neuer EU-Verkehrsminister ist, so weit entfernt, wie noch niemals zuvor.
Denn gerade durch die mittlerweile langweilig gewordenen Buzzwords wie IoT, IoP, Big Data etc. sind wir ja erstmals überhaupt dazu in der Lage, den Leuten richtig zuzuhören. Allen Leuten. Beziehungsweise allen Kunden und allen Mitarbeitern, um es deutlicher zu machen. Wir können heute durch Technologie Emotionen erfassen, messbar machen, in Fakten verwandeln.
Und danach in aller Ruhe entscheiden, was die nächste richtige Aktion ist.
Auch wenn es in Echtzeit sein muss. Und furchtbar kompliziert ist, also von vielen Faktoren abhängt.
Dafür gibt es dann Streaming-Analytics, Machine Learning etc. Aufregend irgendwie. Jetzt müssen wir nur noch herausfinden, richtig mit den neuen Möglichkeiten umzugehen.
Mentale Transformation. Man lernt eben nie aus.
1 Comment
Hervorragende Beobachtung! Fakten, Fakten, Fakten und an den Leser denken! Andererseits, keine Menschen wären wir, wenn uns nicht auch unsere Emotionen vervollständigen würden. Das macht die ganze Angelegenheit so schwierig.
Auf alle Fälle: vielen Dank für den exzellenten Beitrag.