“Der hat doch´n Vogel – was für ein Freak” hab ich damals im Bio-Unterricht gedacht, als unser Lehrer davon erzählte, dass er sich im Frühjahr und im Sommer gerne früh morgens auf die Pirsch legt und die Vögel im seinem Garten beobachtet. Mit Vogel-Voyeurismus allein war es aber nicht getan, nein mein Bio-Lehrer dokumentierte minutiös das Vorkommen, Verhalten und sonstigen Auffälligkeiten seiner gefiederten Freunde.
Tja und in unzähligen Ausführungen erzählte er uns von den Beobachtungen und Erkenntnissen seiner morgendlichen Spähaktionen – ein waschechter Hobby-Ornithologe. Im Übrigen geschah all das zu einer Zeit, in der es weder Online-Ornithologen-Communities, Digi-Cams oder geschweige denn Internet gab. All die Aufzeichnungen und Dokumentationen waren für den Vogelkunde-Club im Ort oder für uns Schüler – ach ja: Danke dafür.
Jetzt, hier und heute stelle ich fest, mein Bio-Lehrer war ein richtiger Early-Bird. Nein, nicht weil er so früh aufstehen konnte – nein, weil er zu einer Gruppe Menschen gehört, die so zu sagen das Vorläufer-Modell eines aktuellen Wissenschaftstrends war: Bürgerwissenschaft oder neudeutsch citizen science aka crowd science.
“Große Themen brauchen viele Köpfe, die denken, sammeln und sortieren” – So steht auf www.citizen-science-germany.de. Grundlage für diese Mitmachforschung ist natürlich die Errungenschaften des Internets, denn nur darüber ist es möglich tausende Menschen zu vernetzen, die alle Ihren kleinen Teil zu einem Forschungsprojekt beitragen. Ob Pinguine zählen, Mücken klassifizieren, Wetterdaten aus alten Schiffslogbüchern herausdestillieren oder Vogelbeobachtungen weltweit zusammentragen – die Informationssammlungen, Detaildaten und Chancen auf neue Erkenntnisse sind riesig. In diesem gewaltigen Datenberg schlummern also ungeahnte Potentiale, die das Zeug haben die Welt zu verändern. Wow – wie pathetisch das klingt; die Welt zu verändern und das sogar in bester ARD & ZDF-Manier, nämlich in der ersten Reihe, ganz vorne mit dabei.
Bevor Sie, liebe Leserinnen, jetzt mit Block und Stift zum nächsten Ententeich fahren und eine groß angelegte Inventur durchführen, möchte ich Ihnen noch ein paar Gedanken mitgeben. Vielleicht brauchen Sie gar nicht so weit gehen um die Welt zu verändern. Denn in vielen Unternehmen werden seit Jahren Unmengen an Daten gesammelt und sortiert, aber eine entscheidende Zutat wird oft vernachlässigt – Die Daten richtig zu analysieren, also etwas Sinnvolles daraus zu machen.
Ja - ich gebe es zu, es wird schon analysiert, doch zack kommen wir zurück zum Thema “Forschung wie früher”. Unternehmen haben oft nur eine überschaubare Anzahl an Mitarbeitern, die überhaupt die Fähigkeit und die Werkzeuge für tiefgreifende Analysen, nennen wir das mal Analytics besitzen. In diesem Zusammenhang fällt oft der Begriff des Data Scientist, meist Mathematiker, Statistiker o.ä. – und was macht die breite Masse, die guckt nur zu. Man stelle sich also vor, nach dem Vorbild der Bügerwissenschaft (citizen science) es gäbe die Möglichkeit all die Mitarbeiter im Unternehmen, die oft Meister ihres Fachbereichs sind zu aktivieren bzw. zu befähigen sich an dieser Analyse zu beteiligen. Gartner hat hier den Begriff des, Achtung jetzt kommt´s, des Citizen Data Scientist – eingeführt.
Nennen Sie die Rolle wie Sie wollen, entscheidend ist nicht einen Namen dafür zu kreieren, sondern den Wert und die Chance zu erkennen. Der analytisch-befähigte Mitarbeiter (kurz AnbeMi) ist nicht zu verwechseln mit einem Business Intelligence User, der sich irgendwelche Reports und Dashboards über die Vergangenheit bastelt. Die Spezies des AnbeMi stellt andere Fragen, er möchte Wissen: was beeinflusst das Geschäft (Treiberanalysen & Entscheidungsbäume), wohin wird es sich entwickeln (Forecast), wie hoch ist die Eintrittswahrscheinlichkeit (prädiktive Modelle) und wo stecken die Stellschrauben zur Optimierung (Szenario-Analysen)?
Diese Fragen sind mit dem klassischen Wiegen, Zählen, Messen der BI-Tools nicht zu beantworten. Viel mehr braucht es einen Weg “zugängliche Analytik” bereitzustellen, mit der ein Nicht-Mathematiker/Statistiker arbeiten kann und so zu neuen Erklärungen und Handlungenvorschlägen kommt. Ein solches Vorgehen vervielfältigt schlagartig die analytische Power in Unternehmen, denn auch die rare Ressource des Data Scientist profitiert von dieser analytischen Befähigung. Durch die Vorselektion von Daten und statistischen Verfahren kann der Analytiker gezielt nur die Projekte verfolgen, die einen werthaltigen Business Case vorweisen.
Ob nun Citizen Data Science oder Citizen Science beide Konzepte haben ein Ziel: eine Mitmachkultur zu etablieren, die die Kraft der Masse nutzt um neue Erkenntnisse zu gewinnen – jeder kann folglich zum “Nerd” werden.
Seien Sie also auf der Hut, wenn die demnächst frühmorgens im Stadtpark die Spatzen zählen, es könnte sein, dass Sie über Ihren Nachbarn stolpern – Ihrem freundlichen Nerd von nebenan.
By the way – wenn Sie sich dafür interessieren, mit welchem Werkzeug ein Citizen Data Scientist am besten arbeiten kann klicken Sie hier: Visual Analytics & Statisics
2 Comments
Für einen kurzen Moment fühlte ich mich wieder in meine Studienzeit zurückversetzt. Statistik zählte nicht gerade zu meinen Lieblingsfächern. Jedoch hatte und habe ich nach wie vor großen Respekt vor "Nerds", die diese Kunst mühelos beherrschen. Ein wirklich witzig geschriebener und guter Artikel.
Hallo Thomas,
vielen Dank für diesen wirklich witzigen Einblick in die Gedanken eines analytisch-befähigten Mitarbeiters. Wir sind schon gespannt darauf, mehr über die Abenteuer des Citizen Data Scientist zu lesen.
viele Grüße, Anita