Bei der DLD Konferenz in München geben sich vor Ort und via Livestream digital die Entscheider die Türklinke in die Hand: Die Timeline bei Twitter liest sich wie das Who-is-Who der deutschen Digitalen Szene. Es ist davon auszugehen, dass auch nach der Konferenz dadurch einiges in Bewegung kommen wird. Was gut und längst überfällig ist.
Aus Sicht der Marketingabteilungen dieses Landes ist in Sachen Digitalisierung bereits viel in Bewegung, wie sich bereits bei der dmexco im September gezeigt hat. Big Data und Digitale Transformation treiben die Unternehmen in Deutschland und die Unternehmen investieren wieder in die Interaktionen mit ihren Kunden. Bemerkenswert ist, dass insbesondere Branchen dabei sind, die in den letzten Jahren ihren Fokus auf Regulierung und Sicherung des Unternehmens gelegt hatten und sich nun wieder intensiver dem Kundenmanagement zuwenden.
Dabei kommt von den Visionen noch nicht so viel im Alltag an: Schaut man sich aktuelle Projekte im Marketing an, so entdeckt man durchweg gleiche oder ähnliche Anforderungen an die Lösungen wie früher. Automatisierung, Intelligenz in der Ansprache, flexibles Einbinden in die vorhandenen Infrastrukturen, Kanalintegration, Responsemanagement, natürlich Big Data und die gute alte 360-Grad-Kundensicht sind allgegenwärtig. So neu ist das wie gesagt nicht. Die dmexco selbst hat vielleicht noch ein weiteres Thema auf die Agenda gebracht: Marketing-Cloud-Lösungen werden zur neuen Klasse von Enterprise-Software erhoben.
So schön, so gut: Aber ich finde diese Betrachtung einseitig!Sie entspricht auch nicht der gelebten Praxis, die ich bei Projekten erfahre. Above-the-Line Maßnahmen und die Ansprache über die traditionellen Kanäle haben immer noch das Potenzial wirklich zum Kunden durchzudringen, so sie denn richtig gemanaged und sinnvoll ausgesteuert werden. Gerade Marketing-Cloud-Lösungen haben hier eine essentielle Schwäche: Für Geschäftsbereiche und Branchen mit traditionellen Berührungspunkten mit den Kunden (Banken mit ihren Filialen, stationärer Handel, Versicherungen, …) besteht bei den Marketing-Cloud-Lösungen oft Nachholbedarf, da sie eben nur digital ticken.
Für welche Lösungen sich Unternehmen entscheiden sollten, ist wohl primär davon abhängig, in welchem Zusammenhang das Gesamtprojekt steht. Sind integrierte technische Prozesse und fachliche Prozesse Abläufe möglich? Partizipiert jede Kundenansprache in einem angeschlossenen Kanal vom gewonnenen Wissen des jeweils anderen?
Intelligenz oder doch nur 360 Grad?
Ein potenzieller Kunde sprach mich neulich an und sagte, er könnte mit seiner Cloudlösung ausgereifte und komplexe E-Mail Kampagnen machen, suche aber nach etwas intelligentem dafür. Eine Steilvorlage für einen Anbieter wie SAS.
Im Gespräch wurde deutlich, dass zwar das Aufsetzen, Durchführen und Messen der Kampagnen einfach und flexibel möglich ist, jedoch die Wertschöpfung eher in der Effizienz (Abwickeln des Kampagnenprozesses) als in Effektivität (mehr Umsatz) zu finden ist. Heute sollen alle Systeme in Echtzeit operieren. Aber sind sie auch in Echtzeit intelligent? Nutzen sie das Potenzial der Daten, die sie verarbeiten?
Oh nein, ich möchte jetzt nicht auch noch für das Sammeln von noch mehr Daten und initiieren von Big Data Projekten werben, sondern schlicht für das konsequente Ausnutzen des vorhandenen Wissens durch konsequente praktische Verwendung.
Das Prinzip dazu heißt "Analytical Factory" und industrialisiert die Produktion von Wissen und das Einbinden in die Kundenansprache - nahtlos, selbstlernend, automatisiert und vor allem in Güte und Relevanz kontrollierbar. Das geht aber nur richtig gut mit integrierten Plattformen, denn insbesondere Integrationsthemen und Schnittstellen sind nach wie vor die größten Showstopper von automatisierten (Echtzeit-)Prozessen.
Eine analytische Factory kann beispielsweise eine zweistellige Anzahl sogenannte Affinitätsmodelle für mehrere Millionen Kunden in wenigen Minuten errechnen, die darin ermittelten Entscheidungsparameter in eine in Echtzeit verarbeitbare Regel transformieren und in ein entsprechendes operatives System automatisch übertragen, welches die Ansprache im Kanal regelt. Feedbackschleife eingeschlossen. Das ist für Omnichannel-Marketing heute keine Vision mehr, sondern realisierbar - Enterprise Marketing Plattform ist das Stichwort.
Digitale Transformation heißt nicht zwingend Digital Customer Interaction only
Eine spezifische Branche, die sehr früh Vorreiter des Database Marketings war, ist aufgrund ihres Geschäftes vom digitalen Wandel besonders getroffen - die Medien, die heute auch in München stark präsent sind. Um Wörter ist die Branche nicht verlegen, um Lösungen leider schon, wie die Diskussionen bei den Medientagen in München zeigten. Die hier geführten Diskussionen offenbaren, wie verunsichert die Verlage sind – was unter anderem der Umgang mit dem Leistungsschutzrecht offenbart.
Vor dem Hintergrund der Ausführungen über Cloud-Marketing-Lösungen und Analytical Factory möchte ich daher einige Punkte ergänzen mit denen sich ein Publisher heute auseinandersetzen muss:
- Das Interesse der eigenen Leser zur Priorität erheben.
(Sport, HD-Videos von Stars und Sternchen auf YouTube und nackte Haut verkauft sich oft besser als hochwertig recherchierter Journalismus – leider) - Channel-spezifische Interaktion forcieren - heißt konkret, den Omnichannelansatz leben und nicht nur ein weiteres Silo namens Online
- Analytische Fähigkeit im Unternehmen angesichts der Daten- und Informationsflut kontinuierlich ausbauen und nicht nur Wissen, wo sich die Zielgruppe aufhält, denn an den Kiosk kommt sie ja nicht mehr.
Es fehlt bis auf wenige Ausnahmen an guten Ansätzen - immerhin setzt sich die Branche kreativ mit dem Thema auseinander. Marc Elsberg schreibt in seinem neuen Roman "Zero" über Big Data und den gläsernen Bürger und auch die Autorin und Juristin Yvonne Hochstetter lässt sich literarisch inspirieren.
Mein Fazit
Digital ist wichtig, ja: Wie z. B. die Analyse cosmin („Warum jeder Verlag im Internet ein Startup ist“) in der Verlagsbranche zeigt, gilt es natürlich auch zuallererst sich nicht auf traditionelle Vertriebsstrukturen zu verlassen und darauf zu vertrauen, dass sich diese einfach auf die digitale Welt portieren lassen. Betrachtet man jetzt auf der anderen Seite die Möglichkeiten, die im digitalen Bereich liegen, kommt man schnell zu dem Punkt, dass das Potenzial wahrscheinlich in der Kombination liegt.
Aus meiner Sicht eine bereits in 2014 an den Marketing-Projekten messbare Tatsache, die vielleicht in der einen oder anderen unabhängigen Marktanalyse jüngst verloren ging, jedoch ganz sicher in 2015 weiter Thema bleibt.
5 Comments
100% digital? Sicher nicht (obwohl es in manchen Bereichen fast so scheinen mag) - auch meine persönliche Meinung.
Ein gesundes Maß an Ergänzung - dort wo digital Sinn macht und dort wo der Mensch mit Herz, Sinn und Verstand im Mittelpunkt steht.
Digitalisierung als reines Marketing-Push-Medium wird die Menschen vergrätzen, und auch die Akzeptanz neuer Technologien sinken lassen. Automatisierung von einfachen und repetierbaren Aufgaben durchaus. Dort wo Veränderungen an der Tagesordnung sind (welche Bereiche des Lebens sind dies nicht?) ist nach wie vor der Mensch mit seiner über Generationen gewachsenen Kreativität und Lösungswillen gefragt.
Dass Digitalisierung eine große Rolle spielt zeigt das diesjährige International Year of Light 2015, das von der UNESCO und anderen global tätigen Institutionen ausgerufen worden ist. http://light2015.org
Vielen Dank für Ihren Kommentar. Ich sehe das ein Stück weit als eine Bestätigung meiner Meinung. Wichtig für Unternehmen wird sein, nicht wieder bzw. nicht weiter ein Silo auf/auszubauen, sondern sich so aufzustellen, dass man flexibel für die Zukunft gerüstet ist. Die Veränderungen geschehen ja in immer kürzeren Zyklen. Und heute "hipp" (und groß und mächtig) sein, ist nicht zwingend ein Garant für eine sichere Zukunft (z. B. finische Mobiles) oder langfristig erfolgreiche Produkte ("The" Glasses).
Differenzierung macht hier wie so oft wirklich Sinn. Auch die aktuellen Diskussionen im Rahmen der Customer-Experience-2015-Breakfast-Reihe (http://www.sas.de/customer2015) zeigen, wie unterschiedlich die Implikationen der Digitalisierung im Marketing bzw. Kundenmanagement ausfallen. Allgemeingültige Prioritäten lassen sich kaum ableiten; entscheidend ist in der Regel, auf welche Kanäle bzw. Medien sich Kundenverhalten heute erstreckt oder verlagert. Hieraus ergeben sich die drängendsten Handlungsfelder.
Gute Insights. Bemerkenswert ist, dass Branchen dabei sind, die ihren Fokus in den letzten Jahren auf Regulierung und Sicherung gelegt haben und sich nun wieder intensiver dem Kundenmanagement zuwenden.
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