Die Versicherungsbranche blickt auf eine lange Geschichte zurück, die bis zum Codex Hammurapi um ca. 1750 v. Chr., dem römischen Seerecht und dem Lloyd's Coffee House an der Themse im Jahr 1688 zurückreicht.

Das älteste Sachversicherungsunternehmen in den USA war die Philadelphia Contributionship, die 1752 von Benjamin Franklin gegründet wurde. Diesem Gründungsvater verdanken wir die Redewendung:

„Vorbeugen ist besser als heilen.“ 

Die Grenzen der Absicherung 

Dank digitaler Technologien können Versicherer heutzutage herausragende kundenorientierte Betriebsmodelle entwickeln, von denen Ben Franklin nur hätte träumen können. Doch das Wertversprechen der Branche – das auf dem Prinzip der Absicherung basiert – gefährdet nun die langfristigen Wachstumschancen, da die unmittelbaren Betriebskosten in die Höhe schießen.

Jedes einzelne Versicherungsunternehmen steht vor schwierigen Herausforderungen. Da wäre zum einen der Inflationsdruck, der den Bemühungen zur Kostensenkung entgegenwirkt. Die Erwartungen der Kunden an Fähigkeiten in Echtzeit. Und innovative Produktdesigns in allen Geschäftsbereichen, die ein personalisiertes, atemberaubendes Kundenerlebnis zu einem wettbewerbsfähigen Preis bieten sollen.

Die Versicherer müssen ihre Geschäftsmodelle weiterentwickeln, um schlichtweg zu überleben. Technologien wie künstliche Intelligenz (KI) und generative KI (GenAI) können diese Entwicklung beschleunigen, aber die Grenzen der Absicherung bremsen die Dynamik weiterhin.

«Um die Entwicklung zu beschleunigen, müssen Versicherer zu einem neuen Wertversprechen übergehen – Vorhersagen und Vorbeugung.».

Die Versicherungsbranche muss sich ändern

Wie wäre es mit Lösungen für Sach- und Unfallversicherungen oder Lebensversicherungen, die aktiv Risiken identifizieren, mit denen eine Person oder ein Unternehmen konfrontiert ist, um das Eintreten eines Schadensfalls von vornherein zu verhindern? Noch vor fünf Jahren hätte eine solche Idee wie Science-Fiction geklungen. Doch nun ist Fiktion zur Realität geworden. Ein Beispiel:

Es muss sich etwas ändern.

Den Status quo in Frage stellen 

Wie bei anderen technologischen Durchbrüchen auch, ist es erfolgsentscheidend, den Status quo unerschrocken in Frage zu stellen.

Wussten Sie, dass ein Mensch 31,7 Milliarden Jahre lang jede Sekunde eine Rechnung durchführen müsste, um dieselbe 1-Sekunden-Rechenleistung (TeraFLOPs) zu erbringen, die die leistungsstärksten „Exascale“-Computer der Welt erreichen?

Angesichts dieser tiefgreifenden Auswirkungen erscheint es geradezu töricht, diese Technologie nicht zu nutzen. Vor allem, da wir wissen, dass wir anhand von Smartphone- und IoT-Gerätesignalen proaktiv Situationen erkennen können, die Schadensfälle verursachen oder verschlimmern.

Es ist an der Zeit, den Status quo der Absicherung in Frage zu stellen. Die Ansicht, dass erst ein Schaden entstehen muss, bevor eine Versicherungsrichtlinie greift, sollte überdacht werden.


Schäden durch Naturkatastrophen

Aon berichtete in seinem Climate and Catastrophe Insight Report 2024, dass 2023 Naturkatastrophen weltweit zu überdurchschnittlichen wirtschaftlichen Verlusten in Höhe von insgesamt 380 Milliarden US-Dollar führten. Versicherer zahlten weltweit 118 Milliarden US-Dollar aus und verzeichneten eine Rekordzahl an versicherten Katastrophen in Milliardenhöhe. 2023 war außerdem mit 95.000 Todesfällen das tödlichste Jahr seit 2010 und das heißeste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen.


Künstliche Intelligenz ist nicht perfekt – was uns aber nicht davon abhalten sollte, sie zu nutzen 

Erinnern Sie sich an die ersten Reaktionen der Versicherungsbranche auf das „Internet“? Viele Versicherer untersagten am Anfang die Verwendung des Internets. Heute suchen Versicherer jedoch häufig bei der Risikobewertung und im Schadensfall online nach Informationen.

Wir wissen, dass im Internet nicht alles der Wahrheit entspricht. Dennoch ist es nützlich, um Informationen zu finden. Die Kunst besteht darin, zuverlässige Informationen herauszufiltern.

Da KI vom Menschen entwickelt wurde, hat sie auch unsere Fehler. Doch ähnlich wie im Fall der Online-Suche wird KI im Laufe der Zeit auch in Versicherungsprozesse Einzug halten.

Der Schlüssel zur Lösung der durch Fehlinformationen verursachten Probleme liegt in den Daten.

Nicht vergessen: Der Teufel steckt in den Daten 

Versicherer erfassen und speichern Unmengen an Daten. Eine einzelne Police könnte anhand von Hunderten, wenn nicht gar Tausenden von Variablen bewertet werden, wie z. B. Angaben zum Versicherten oder Geschäftsinhaber, zum versicherten Standort, zur Schadenshistorie usw.

Kleine Ungenauigkeiten können zu großen Beitragsunterschieden führen und dazu, dass gewisse Risiken in Kauf genommen werden, die niemals versichert werden sollten. Einige werden direkt abgelehnt.

Dieser Umstand ist darauf zurückzuführen, dass die Daten über Gespräche, manchmal online, manchmal schriftlich und ja, manchmal sogar per Fax, in Programmen erfasst werden. Oftmals werden die Ungenauigkeiten erst nach einem Verlust und nach einer gründlicheren Risikoanalyse deutlich. Wenn die Informationen ursprünglich von einem Vertreter erfasst wurden, könnte dies zu Fehlern und Auslassungen führen.

Bei einer manuellen Überprüfung könnten 95 % der Fehler gefunden werden, aber das kostet Zeit. Die Informationen, mit denen eine Police erstellt wird, werden also oftmals überhaupt nicht validiert.

Immer häufiger stellen auch externe Anbieter, wie z. B. Dun & Bradstreet, Daten und sogar Datenprodukte zur Verfügung. Öffentlich zugängliche Informationen, die online verfügbar sind, können tiefere Einblicke in individuelle Risiken bieten.

Das kann Vorteile haben: Laut McKinsey können Versicherer durch die Einführung eines „digitalisierten Zeichnungsverfahrens“ zweistellige Zuwächse bei Prämien und Rentabilität erzielen.

Doch auch bei diesen Beispielen, bei denen ein Vermittler oder eine dritte Partei eingeschaltet wird, stellt sich dasselbe Problem: Die Informationen wurden von einem Mittelsmann und nicht direkt von der Quelle, also dem Kunden, eingeholt. Und da die meisten Datenpunkte bestenfalls Näherungswerte für Risiken sind, schießen die Versicherer mit Kanonen auf Spatzen: „Nah dran reicht aus, um zu gewinnen.“

Das Chaos überwinden und neue Daten nutzen 

Wie können wir also genauere Preismodelle, Zeichnungsentscheidungen und Erfahrungen mit Schadensfällen für Menschen und Unternehmen entwickeln?

Wir müssen uns neuen Formen von Daten – manchmal auch als alternative Daten bezeichnet – zuwenden, um ein besseres Verständnis von Risiken zu entwickeln. So können wir damit beginnen, Verlusten vorzubeugen.


Entwicklung genauerer KI-Modelle

Forscher haben nachgewiesen, dass KI zur Erstellung genauerer Modelle und zur Erzielung eines jährlichen wirtschaftlichen Nutzens von 162 Milliarden US-Dollar eingesetzt werden kann. Vor nur wenigen Jahren waren solche Fähigkeiten noch außerhalb unserer Möglichkeiten.  


Durch die rasche Zunahme der Rechenleistung und die weit verbreitete Nutzung von Cloud-Computing können Versicherer nun riesige Datenmengen aus neuen Quellen wie Luftbildern, dem Internet der Dinge und öffentlichen Informationen schneller als je zuvor per Parallelverarbeitung analysieren.

Daten zum tatsächlichen Verhalten sind Proxy-Daten überlegen. Unlängst gerieten einige Autohersteller in die Kritik, weil sie Daten an Versicherer weitergeleitet hatten. Dass die heutigen verknüpften Fahrzeuge Daten über das Fahrverhalten speichern, ist kein Geheimnis. Diese Daten über abruptes Bremsen und Beschleunigen, Nachtfahrten, Geschwindigkeitsüberschreitungen usw. können und werden zur Tarifgestaltung verwendet.

Daten können auch genutzt werden, um in den Bereich der Unfall- und Schadensverhütung vorzudringen. Der Aufwand könnte sich lohnen.

Der Aufstieg von UBI 

Laut J.D. Power verzeichneten die Versicherer eine gestiegene Beteiligung an nutzungsbasierten Versicherungsprogrammen (UBI) mit einer Verdopplung zwischen 2016 und 2023 und eine 26-prozentige Beteiligung von Neukunden mit einer um 59 Punkte höheren Kundenzufriedenheit in Bezug auf die Versicherungsprämie.

Anfang des Jahres nahm ich über Cambridge Mobile Telematics (CMT) an einem Programm gegen Ablenkung am Steuer teil. So konnte ich selbst sehen, wie Benachrichtigungen die Ablenkung am Steuer reduzieren – was mir auch vom Leiter der Telematikabteilung eines US-Versicherers bestätigt wurde, der ein ähnliches Programm betreibt.

Aus dem Bericht „State of US Road Risk in 2024“ von CMT geht hervor, dass der Rückgang der durch Ablenkung verursachten Unfälle im Jahr 2023 um 4,5 % zur Vermeidung der folgenden Zahlen geführt hat:

  • 55.000 Unfälle,
  • 31.000 Verletzungen,
  • 250 Todesfälle,
  • 2,2 Mrd. US-Dollar an wirtschaftlichen Schäden.

Unerschlossene Daten verfeinern und nutzen – und Veränderungen anregen 

Erinnern Sie sich noch an den alten Spruch: „Daten sind das neue Öl“? Der Vergleich ist zwar simpel, aber dennoch zutreffend: Öl muss aus dem Boden gefördert, raffiniert und schließlich für Verbrauch und Nutzung verbreitet werden.

Bei Daten ist das nicht anders. Telematik- oder UBI-Daten stellen eine ungenutzte Quelle dar, die Versicherer nutzen können und sollten, um das Wertversprechen der Branche auszubauen.

Die State Farm Versicherungsgruppe hat ihr Brandschutzprogramm für zwei Millionen Haushalte durch Ting und Whisker Labs ausgeweitet. Staats- und Gemeindebehörden setzen Smart-City-Technologien ein, um das Verkehrsaufkommen zu verringern und das Hochwasserrisiko einzudämmen. Die Apple Watch hat sich dank der Herzfrequenz-App bereits als lebensrettend erwiesen.

Diese Geschichten regen zu Veränderungen in der Branche an. Auch wenn sich nicht jedes Unglück verhindern lässt, können wir mit Hilfe von KI doch einige Risiken minimieren. Die nachgelagerten Auswirkungen durch die Minderung des Schadensrisikos, die Rettung von Menschenleben und die Steigerung des wirtschaftlichen Werts werden die Branche in ein neues Zeitalter führen.

Erfahren Sie mehr über die fünf größten Versicherungsprobleme – und warum KI keines davon ist


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About Author

Franklin Manchester

Prior to joining SAS, Franklin held a variety of individual contributor and people leader roles in Property and Casualty Insurance. He began his career as an Associate Agent for Allstate in Boone, NC. In 2005, he joined Nationwide Insurance as a personal lines underwriter. For 17 years at Nationwide, he managed personal lines and commercial lines underwriters, portfolio analysts, sales support teams and sales managers. Additionally, he supported staff operations providing thought leadership, strategy and content for sales executive offices.

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