Social Distancing ist derzeit das Virostatikum Nummer eins. Reicht das aber aus, um das Corona-Virus weltweit in den Griff zu bekommen? Wahrscheinlich nicht. Diese Erkenntnis beschleicht uns jedes Mal, wenn das Robert Koch Institut (RKI) des Vormittags vor die Presse tritt und deprimierende Ergebnisse verlautbart. Wird genug getestet? Wie schätzen Sie die Bettenkapazität in den Krankenhäusern ein? Reichen Beatmungsgeräte oder warum besteht eine Diskrepanz in den Fallzahlen? Verlässliche Antworten auf diese Fragen hat sogar das RKI nicht.
Aber der Druck steigt von Tag zu Tag. Die Gesellschaften weltweit müssen wirksam geschützt werden. In Daten könnten Lösungen zu diesem Schutz schlummern. Und weil die Bundesregierung das verstanden hat, griff sie vor einer Woche zu einem für sie außergewöhnlichen Mittel. Sie rief zu einem Hackathon namens #WirvsVirus auf, ausgetragen vom 20.- 22. März online. Da wurde aus öffentlich zugänglichen Gesundheitsdaten wie denen von Krankenhäusern, Instituten, Meldeämtern etc. Wissen generiert.
Ziel: Unser System auf den drohenden Ansturm von steigenden Covid-19 Erkrankungen vorzubereiten. Die Bandbreite der Herausforderungen, den so genannten Challenges bei einem Hackathon, war hoch. Da ging es um Supermärkte, um den Ausfall von medizinischem Fachpersonal oder um die Reintegration genesener Bürger/innen. Alle Challenges im Überblick hier. Die Bundesregierung und alle weiteren sieben Initiatoren vom Hackathon setzten also auf Datenakrobaten aus dem Volk, um probate Lösungsmittel zu finden.
Die Corona-Krise ist damit zu einer Offenbarung geworden
Sie zeigt nämlich, wie digitalfit Deutschland ist. Und sie zeigt, wo die digitalfittesten Köpfe sitzen: mitten unter uns und zur Zeit zu Hause. Und sie zeigt, wo diese Köpfe nicht sitzen. In den Ministerien und Ämtern unseres Landes. „Die Bundesregierung ist nicht darauf angelegt, eine solche Aktion schnell zu initiieren. Der estnische Hackathon war der Auslöser für WirvsVirus“, bestätigt die Kommunikationschefin von Tech4Germany, Anna Hupperth.
Ihre Organisation (Mit-Initiator von WirvsVirus) will der Bundesregierung helfen, unser Land fit für die digitale Zukunft zu machen. Tech4Germany spricht explizit die Bundesministerien an, Schirmherr ist der Chef des Bundeskanzleramtes, Helge Braun. „Unsere Nähe ins Bundeskanzleramt besteht also schon länger, wir werden auch durch das Amt gefördert“, sagt Hupperth.
Die IT-Kompetenz in unserem Land ist bombastisch. 27.000 Coder haben sich innerhalb von 48 Stunden auf der Plattform versammelt und programmiert bis sich die Balken biegen – mit großem Spaß.
Haben wir Deutschland am Ende unterschätzt? Offensichtlich, denn unsere Coder können, wenn es darauf ankommt, innerhalb kürzester Zeit helfen, Gesellschaftsfragen mit Code zu lösen, trotz der viel beschworenen schlechten digitalen Infrastruktur.
Es war beeindruckend und inspirierend zugleich, wie sich Tausende begeisterte Menschen online völlig selbständig zu Projekten zusammengefunden und innerhalb von 48 Stunden nicht nur tolle und spannende Ideen diskutiert, sondern diese auch teils in MVPs umgesetzt haben. Wurde Expertise benötigt, war die innerhalb von Minuten im #WirvsVirus-Netz gefunden und in das Projekt integriert. Ein Lehrstück für die Arbeitsweise in einer digitalisierten Welt.
Meine Kolleginnen und Kollegen haben übrigens auch mitgemacht beim Hackathon – natürlich aus dem Home-Office heraus mit ihrer eigenen manchmal nicht sehr stabilen Internetverbindung. Ehrenamtlich haben sie sich auf die Suche begeben, in den Daten, die die Regierung ihnen zur Verfügung gestellt hatte, Gutes zu finden.
Das sind klassische Data4Good-Projekte. Nichts neues, ich weiß.
Schon seit einigen Jahren bemühen sich Jongleure der Algorithmen für Künstliche Intelligenz, ihre Kompetenzen für die Gesellschaft nutzbringend zu bündeln. Und dass sich die deutsche Tech-Szene nun online versammelt hat, um mit Software der Ausbreitung des Virus entgegenwirken zu wollen, ist für mich die logische Konsequenz.
„Am 16. März haben wir unser Konzept dem Kanzleramt übermittelt und schon am Dienstag hat das gesamte Kabinett einer Schirmherrschaft zugestimmt“, erinnert sich Hupperth. Fast scheint es so, als wolle die Bundesregierung ihre geballte digitale Kompetenz mit diesem Hackathon demonstrieren. Na und? Selbst wenn das so wäre, wäre es gut. Schließlich haben viele Kommunen mit einem schlechten Ruf in Sachen Digitalisierung zu kämpfen. Da wird Wissen hausbacken ausgetauscht, manchmal ausschließlich per Telefon und per Mail.
So zumindest beschrieb das ein Teilnehmer des Hacks in einem Interview mit NTV, das ich las: " […], dass die wirklich noch per Email und Telefon mit anderen Krankenhäusern kommunizieren, wenn sie Materialien aufstocken müssen. Da gibt es keine digitale Oberfläche, auf der diese Informationen automatisch ausgetauscht werden. [ ... ] Unsere Idee ist, dass wir denen diese Oberfläche jetzt zur Verfügung stellen […].“ (Quelle NTV).
Dieses Zitat erinnert mich auch an mein Gespräch mit dem Bundestagsabgeordneten Konstantin von Notz (Podcast erscheint Anfang April). 2009 sei Digitalisierung noch ein piratiges Thema gewesen. Er sprach sogar von einem Orchideen-Fach. Seiner Meinung nach laboriere die Bundesregierung halb gar an dem Thema herum.
Ich persönlich glaube, dass spätestens jetzt allen Beteiligten klar ist, dass sie besser schon vor ein paar Jahren zwei Gänge hochschaltet hätten. Wie auch immer: Der Hackathon hat gezeigt, dass ohne die Kompetenz von uns Bürger-innen spontan digital nichts geht. Und hierin liegt auch die Lehre der ganzen Situation: Gemeinsam schaffen wir das, da bin ich sicher. Wie geht es jetzt weiter? An diesem kommenden Wochenende stellt sich heraus, was bei #WirVSVirus herumgekommen ist. Die Initiatoren evaluieren alle Ergebnisse und stellen diese dann vor. Es lohnt sich, die Zwischenergebnisse hier oder auf Youtube anzuschauen. Sehr inspirierend!
Unabhängig davon arbeiten viele Teams natürlich gerade an ihren Projekten weiter, obwohl dies nicht in die Bewertung eingeht. Weil sie eben an ihre Idee glauben. Auch das sollte ein Denkanstoß sein.